: Oktoberfest in Berlin: O’zapft is
Kommenden Mittwoch bläst die Bundeswehr anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens zum Großen Zapfenstreich – und Kritiker des Rituals zum Widerstand. Mehr als 9.000 Polizisten stehen bereit
von FELIX LEE
Moltkebrücke? Verboten. Wilhelmstraße Ecke Dorotheenstraße? Verboten. Pariser Platz als Zwischenkundgebungsort? Ebenfalls verboten. Wegen Sondernutzungsrechten der Bundeswehr. Nicht mal an der Weltzeituhr am Alex darf die Demonstration beginnen. Aber nicht aufgrund von Sicherheitsbedenken, sondern wegen einer Baustelle.
Mehr als ein Dutzend Polizeieinsatzleiter und Vertreter der Bundeswehr waren gestern bei der Versammlungsbehörde anwesend, um den OrganisatorInnen der Proteste mitzuteilen, wo die DemonstrantInnen am Abend des 26. Oktober überall nicht hindürfen. Nun ist die Demostrecke auf einen kleinen Abschnitt zwischen Fernsehturm und Schadowstraße gekürzt worden. Alle Plätze und Straßen, die auch nur in Sichtweite der grünen Wiese vor dem Reichstagsgebäude sind, werden an diesem Tag weiträumig abgesperrt sein. Die Rede ist von 9.000 Einsatzkräften. Dabei sind die Bundeswehrfeldjäger innerhalb der abgesperrten Zone noch nicht mitgezählt.
Seit Juni feiert die Bundeswehr in der gesamten Republik ihr 50-jähriges Bestehen. Der Höhepunkt der Feierlichkeiten soll am 26. Oktober der so genannte Große Zapfenstreich vor dem Berliner Reichstagsgebäude sein. „50 Jahre entschieden für Frieden – 50 Jahre Parlamentsarmee“ lautet das Motto der offiziellen Feierlichkeiten, „50 Jahre Bundeswehr sind 50 Jahre zu viel – Zapfenstreich abpfeifen!“ das der DemonstrantInnen. Unter Federführung der „Antifaschistischen Linken Berlin“ (ALB) und der „Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär“ (Kampagne) hat ein großes Bündnis aus etwa einem Dutzend antimilitaristischer und anderer linker Gruppen zu den Protesten aufgerufen, darunter auch Gewerkschaften und die Linkspartei.PDS. Koalitionspartner SPD und die CDU kritisierten die Linkspartei für den Aufruf (die taz berichtete). CDU-Generalsekretär Frank Henkel sprach von einer „Zumutung für Berlin“. Insgesamt werden mehr als 1.000 Teilnehmer erwartet.
Geplant war ein Protestzug, der um 17 Uhr am Alexanderplatz beginnen und über den Boulevard Unter den Linden direkt zum Paradeplatz vorm Reichstagsgebäude führen sollte. „Der Zapfenstreich steht für eine Jahrhunderte währende Tradition von Kadavergehorsam, Großmachtpolitik, Kolonialkriegen und Folgsamkeit im nationalsozialistischen Vernichtungsfeldzug“, kritisierte ein Sprecher der ALB. „Mit der Demonstration werden wir alles dafür tun, um das mit NS-Symbolik aufgeladene Militärritual zu stören.“ Ralf Siemens von der Kampagne sieht in diesem militärischen Zeremoniell „ein offensichtliches Bekenntnis zur Militarisierung der deutschen Außenpolitik“. In „bedeutungsschwangerer Atmosphäre bei Fackelschein“ werde „dem Soldatentum gehuldigt“ und vorgegaukelt, dass Militär nichts mit Krieg zu tun hat, sondern mit Frieden, kritisiert der Kampagnensprecher.
Proteste gegen militärische Großfeierlichkeiten haben in Berlin inzwischen Tradition. Seit Beginn der 90er-Jahre sinken die Hemmungen der Bundeswehr, sich und ihre Rituale öffentlich zur Schau zu stellen. Seitdem wächst auch der Widerstand dagegen. Daher finden die Zeremonien seit 1998 nur noch für ein ausgewähltes Publikum statt, das mit Gittern abgeschottet wird.