: Dörfer in Grippehaft
AUS ISTANBULJÜRGEN GOTTSCHLICH
Bloß keine Panik!, ist derzeit die Parole, mit der Politik und Medien auf die Meldung reagieren, dass die Türkei von der schlimmsten Variante der Vogelgrippe betroffen ist. Dieser Virus sei für Menschen, die nicht direkt mit den infizierten Puten und Hühnern zu tun hätten, ungefährlich, verbreitete der Gesundheitsminister in einer eilig einberufenen Pressekonferenz, nachdem die EU-Kommission den Nachweis des H5N1-Virus bekannt gegeben hatte. Ganz volksnah brachte Ministerpräsident Erdogan am Donnerstagabend diese Botschaft unter das Publikum. Bei einem Essen mit Parteifreunden ließ er sich demonstrativ eine große Portion Geflügelsalat schmecken: Seht her, so die Fernsehbilder, ihr braucht keine Angst zu haben.
Diese Beruhigungskampagne – mitsamt der ständig verbreiteten Meldung, man habe alles unter Kontrolle – ist aber nur bedingt erfolgreich. „Wenn Geflügel so harmlos ist, warum wurde es dann von der Speisekarte des Parlamentsrestaurants verbannt?“, fragte ein Kommentator empört. Und auch die Kantinen in Schulen und Unis haben längst reagiert: Huhn kommt nicht mehr auf den Tisch. Als dann noch durchsickerte, dass das Gesundheitsministerium beim Schweizer Roche-Konzern eine Million Packungen des Antigrippemedikaments „Tamiflu“ geordert hat, war die Vogelgrippe endgültig das Thema Nummer eins.
Dabei haben die türkischen Behörden durchaus schnell und effizient reagiert. Als vor knapp einer Woche erste Meldungen von 2.000 verendeten Puten auftauchten, wurden gleich Mitarbeiter der Gesundheitsbehörde in Marsch gesetzt, die insgesamt 8.500 Tiere töteten. Das Gebiet, in dem die Vogelgrippe bislang nachgewiesen wurde, ist nach wie vor noch begrenzt und erstreckt sich auf rund neun Dörfer am südlichen Ufer des Marmarameeres in der Provinz Balikesir im Westen der Türkei. In diesem Gebiet gibt es nicht nur große Geflügelfarmen, sondern auch einen großen See, an dessen Ufer traditionell viele Zugvögel rasten. Die Behörden gehen deshalb davon aus, dass das Virus durch Zugvögel eingeschleppt wurde.
Die Dörfer wurden unter Quarantäne gestellt, elf Bauern beziehungsweise Angestellte auf Geflügelfarmen werden derzeit prophylaktisch behandelt. Eine Übertragung des Virus auf einen Menschen ist jedoch noch nicht aufgetreten.
Die entscheidende Frage ist jetzt, ob es gelingt zu verhindern, dass weitere Gebiete des Landes kontaminiert werden. Mit größter Aufmerksamkeit wird deshalb jeder tote Vogel in einer anderen Gegend registriert. Als bei einem Geflügeltransport an der weit entfernten östlichen Mittelmeerküste bei Adana im Lkw 30 tote Hühner gefunden wurde, herrschte gleich Großalarm. Glücklicherweise konnte nach den Labortests Entwarnung gegeben werden. Die Tiere waren lediglich dem Stress des Transports zum Opfer gefallen. Als in einem Taubenschlag in Manissa, 200 Kilometer südlich von Balikesir, am Freitagmorgen 20 tote Tiere gefunden wurden, verhängte das Gesundheitsamt sofort eine Quarantäne gegen die beiden am Taubenschlag beteiligten Familien. Neun Personen wurden in die Klinik zur Blutuntersuchung gebracht. Ob die toten Tauben infiziert sind, ist im Moment noch unklar. Um die Gefahr einer Infektion über Wildtiere einzuschränken, verhängte das Forstministerium ein generelles Jagdverbot gegen Vögel. Es gilt unbestimmte Zeit.
Bundesumweltminister Jürgen Trittin hat Reisen in die Türkei für unbedenklich erklärt. Urlauber oder Geschäftsreisende, die aus der Türkei nach Deutschland kommen, dürfen keine Lebensmittel, natürlich keine Vögel, aber auch keinen Schmuck aus Federn mitbringen. Der Zoll ist angewiesen, dies streng zu kontrollieren.