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Mangelnde Vorsorge, langsame Hilfe

Die Rettungs- und Aufräumarbeiten nach dem schweren Erdbeben in Pakistan und Indien offenbaren die eklatanten Versäumnisse beim Aufbau eines effizienten Katastrophenmanagements. Dafür gibt es auch politische Gründe

AUS DELHI BERNARD IMHASLY

Zehn Tage nach dem verheerenden Erdbeben vom 8. Oktober bestehen kaum Zweifel, dass dieses schlimmste Unglück in der Geschichte Pakistans schon bald die vielen Schwächen bei den Schutzmaßnahmen gegen solche Naturereignisse an den Tag bringen wird. Pakistan besitzt immer noch nicht die technische Infrastruktur, die eine rasche und adäquate Reaktion darauf erlauben würde.

Als zum Beispiel eines der drei Hochhäuser der „Margalla Towers“ in der Hauptstadt zusammenbrach, dauerte es einen ganzen Tag, um das nötige Gerät zur vorsichtigen Beseitigung des Bauschutts zu installieren. Und erst als das erste britische Rettungsteam eintraf, konnte die Suche nach Überlebenden systematisch aufgenommen werden.

Seit Jahren diskutieren die Politiker über die Errichtung einer „Disaster Management Authority“, die neben der technischen Infrastruktur auch Koordinationsmechanismen installieren würde. Die Armee, sonst stets präsent, habe praktisch keine humanitäre Rolle übernommen, kritisierte die Zeitung Dawn. Beim Armeeputsch von General Musharraf vor sechs Jahren, so meinte die Zeitung Daily News, seien Armeepatrouillen innerhalb einer halben Stunde vor den „Margalla Towers“ postiert worden, da in den Luxuswohnungen auch hohe Militärs und Regierungsbeamte wohnten. Am 8. Oktober aber habe es drei Stunden gedauert, bis ein erster Trupp dort aufgetaucht sei.

Die Hochhäuser können auch als Beispiel für eine zweite Systemschwäche dienen – die endemische Korruption im Bauwesen. Die Tatsache, dass nur einer der drei Towers einbrach, hat an den Tag gebracht, dass dieser gar nicht hätte gebaut werden dürfen und dass die Baubehörde auch bei der Einhaltung der Baunormen weggeschaut hatte.

Ebenso schwerwiegend ist die Tatsache, dass weder Pakistan noch Indien verbindliche Vorschriften für erdbebensicheres Bauen haben. Zwar gibt es entsprechende Bauregeln, doch ist es den Gemeinden überlassen, sie auch für verbindlich zu erklären. Dies ist umso gravierender, als die gigantischen Städte Delhi, Bombay, Karatschi und Lahore – sie allein beherbergen eine Bevölkerung von fast fünfzig Millionen – in der zweithöchsten Erdbebenzone liegen.

Auch in Indien hat es lange gedauert, bis eine staatliche Katastrophenbehörde ins Leben gerufen wurde. Nach dem Erdbeben von Gujerat im Jahr 2001 hatte die Schweiz angeboten, dem Land bei der Einrichtung einer solchen Infrastruktur behilflich zu sein. Doch die Vorarbeiten zogen sich dahin, und als die Gesetzesvorlage endlich stand, wurde sie vom Parlament zweimal zurückgewiesen, nicht zuletzt wegen Kompetenzgerangel zwischen Ministerien und mit den Bundesstaaten. Erst der Tsunami schuf endlich den nötigen politischen Druck, das Gesetz Mitte 2005 zu verabschieden.

Die Frist bis zum jüngsten Ernstfall genügte allerdings nicht, um die Behörde einsatzbereit zu machen. Wiederum erlebt das Land heute mangelnde Koordination zwischen den lokalen Regierungsstellen und den zentralen Institutionen. Ein Großteil der Hilfsgüter landet in den leicht zugänglichen Notgebieten, weil die Straßen dann so verstopft sind, dass die privaten Konvois nicht mehr weiterkommen. Dass die abgelegenen und meist weit härter betroffenen Dörfer und Täler doch noch versorgt werden, ist paradoxerweise dem Bürgerkrieg in Kaschmir und der Omnipräsenz der Armee zu verdanken.

Das Erdbeben in Kaschmir hat in beiden Ländern noch eine weitere Schwäche offen gelegt. Sie äußerte sich augenscheinlich in der Reaktion der beiden Regierungen am Tag des Erdbebens. Präsident Musharrafs Auftreten verriet bis in den späten Nachmittag, dass er keine Ahnung von der Schwere des Bebens hatte. Premierminister Manmohan Singh trat gar nicht erst in Aktion, und erst als er später am Tag nach Delhi zurückkehrte, wurde er mit dem Ausmaß des Desasters konfrontiert.

Der Grund liegt, neben dem Fehlen einer Katastrophen-Behörde, in der geringen Dichte von seismografischen Monitoren – Indien besitzt nur 51 Messstationen. Zudem werden deren Daten nicht ausgetauscht. Laut dem Wissenschaftsjournalisten Pallava Bagla liegt ein Grund darin, dass das „Global Seismographic Network“, das weltweit Erdbebendaten vermittelt, von einer Organisation US-amerikanischer Universitäten namens IRIS betrieben wird. Deren Netzwerk ist aber gleichzeitig in die Verifizierung der Bestimmungen des internationalen Abkommens über ein nukleares Testverbot (CTBT) einbezogen. Indien und Pakistan, die dem CTBT nicht angehören, haben sich auch IRIS nicht angeschlossen.

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