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Archiv-Artikel

Das „schwarze Haus“ vergeigt

Ein miesepetriger V. S. Naipaul ärgert sich über westliche Menschen, die Probleme in Afrika zu ihrer „Sache“ machen

Wie schon bei der letzten Essaysammlung „Amerika“ handelt es sich bei dieser Ausgabe um einen irreführenden Titel. In den USA erschien 2002 „The Writer and the World“, eine von Pankaj Mishra herausgegebene Sammlung von Naipaul-Essays von den frühen Sechzigern bis in die Achtziger. In Deutschland hat man daraus zwei Bücher gemacht, nämlich „Amerika“ und den vorliegenden Band, statt nur ein Buch mit wirklich ausgewählten Beiträgen zu veröffentlichen.

Bei den „Streifzügen durch die afrikanische Welt“ müssen wir davon ausgehen, dass diese Welt vor mehr als 25 Jahren eine andere war. Man liest diese Essays also nicht, um etwas über Afrika heute zu erfahren. Genauer wäre es sowieso gewesen, diese Welt „westindisch“ zu nennen, denn – auch wenn es um die Nachfahren afrikanischer Sklaven geht – die meisten Geschichten spielen auf Trinidad, Jamaica, Mauritius und lediglich zwei in Kongo und an der Elfenbeinküste.

Diese beiden Geschichten sind nicht nur chronologisch und im Buch die letzten, sie sind auch die besten. Man muss sich jedoch bis zu ihnen durchkämpfen. So zu der Biografie eines schwarzen, so genannten Befreiungskämpfers namens Michael de Freitas aus Port of Spain, Trinidad. Wie der junge Mann in Naipauls großartigem Roman „Ein halbes Leben“ (2001) landet Michael in den Fünfzigern in Notting Hill – allerdings weniger als Künstler denn als Zuhälter, Dealer und Spielhöllenbetreiber. In den Sechzigern erkannte er dann, dass es noch lukrativer sein könnte, die Engländer bei ihrem schlechten kolonialen Gewissen zu packen. Er schloss sich den Black Panthers von Notting Hill an, den Black Eagles, und gab sich einen neuen Namen: zuerst Michael Abdul Malik und dann, nach Malcolm X, Michael X. Vom weißen Sohn eines Immobilienhändlers bekommt er Geld für „Das schwarze Haus“, doch Michael versiebt die Chance.

Es ist ein bitterer, zum Teil auch grundlos redundanter Text, den Naipaul unter dem Titel „Michael X und die Black Power Morde auf Trinidad: Friede und Macht“ geschrieben hat. Man liest ihn aus Interesse an seiner schriftstellerischen Entwicklung, an seiner Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus und dessen Nachwehen. Für ihn ist die Verkommenheit von Kolonisator und Kolonisierten deckungsgleich.

Aber hier kann man auch den oft und zu Recht als arrogant beschimpften, manchmal richtig miesepetrigen Naipaul erleben. Schlecht gelaunt schreibt er sich einen Zorn über all jene von der Seele, die es nicht richtig machen – dazu, möchte man meinen, gehören wir wohl alle, mehr oder weniger, aber für Naipaul sind es die, die es sich „mit der Welt immer wieder einfach und andere Menschen – nicht nur die Schwarzen – zu ihrer ‚Sache‘ machen, jene Leute, die Wissen durch Dogmen und Anteilnahme durch Betroffenheit ersetzen, die Revolutionäre, die Brennpunkte der Revolution mit der Rückfahrkarte in der Tasche aufsuchen, die Hippies, Leute, die sich für Gesellschaften begeistern, die weniger stabil sind als ihre eigenen, all jene Menschen, die letztlich nichts weiter tun, als ihre eigene, sorglose Existenz zu feiern“.

Peng! Das hat gesessen, mitten ins westliche Gesicht. Obschon man nicht verhehlen sollte, dass auch Naipaul eine Rückfahrkarte hat – und schon damals eine hatte. Merkwürdigerweise ist das alles teilweise stinklangweilig. Da wird Fakt an Fakt gereiht, und wenn man nicht gerade über alle Maßen interessiert an der Karibik ist, hält sich das Lesevergnügen in Grenzen.

Schön wird es immer bei ihm, wenn er über andere Schriftsteller schreibt, so wie hier (kurz) über Joseph Conrad. Da spürt man eine Zärtlichkeit, Geduld und ein Wohlwollen, wie er es manchmal seinen Mitmenschen gegenüber vermissen lässt. Aber nur deswegen lohnt sich das Buch kaum. RENÉE ZUCKER

V. S. Naipaul: „Die letzte Kolonie. Streifzüge durch die afrikanische Welt“. Aus dem Engl. v. Ulrich Enderwitz. Claassen Verlag, Berlin 2005, 320 Seiten, 22 €