: Komik als Überlebensstrategie
GEMISCHTES QUARTETT Die Lesung der vier Literaten A. L. Kennedy, Robin Robertson, Terézia Mora und Jan Wagner, alle preisgekrönt, im KOOK-Salon war wie Weihnachten und Geburtstag zusammen
Wer als Künstler bei anderen Künstlern klaut, betreibt noch lange kein ehrenrühriges Geschäft – zumal wenn der Beklaute berühmt, aber tot ist. Schon Shakespeare plünderte hemmungslos Ovids „Metamorphosen“, ohne den römischen Dichter als Quelle zu nennen. Motive und Werke literarischer Ahnen zu zitieren und zerlegen gilt eher als Ausweis gelehrter Auseinandersetzung mit einer Tradition, der man viel verdankt, denn als schnöder Profit fremder Schöpferkraft.
Aber wie sieht es aus, wenn die Quellen der Inspiration von Kollegen und Zeitgenossen stammen und mit deren Wissen eingesetzt werden? Das Berliner Texttonlabel KOOK hat aus der produktiven Dichteruntugend ein gezieltes Experiment gemacht: Zwei britische, genauer gesagt: schottische Autoren, nämlich die Prosaschriftstellerin A. L. Kennedy und der Lyriker Robin Robertson, stellen Texte aus ihrer jüngsten Produktion vor – und zwei deutschsprachige Autoren, die gebürtige Ungarin Terézia Mora und der Dichter und Übersetzer Jan Wagner, antworten jeweils darauf. (Ein Rückspiel ist für die Zukunft geplant.)
Seemannsgarn der Herren
Das „re.action“ genannte Ergebnis präsentierten die vier preisgekrönten Literaten mit Unterstützung des British Council in den Sophiensælen. Weil jede(r) Einzelne von ihnen leicht einen Abend hätte allein bestreiten können, war das ein bisschen wie Weihnachten und Geburtstag zusammen.
Den Vortritt hatten die Herren Dichter: Während der Schotte seine noch unveröffentlichten, bilderstarken Poeme mit schwermütig gedehnten Vokalen zu fast liturgischem Singsang verdichtete, klangen sie in den deutschen Übersetzungen doch zerebraler und eine Spur geheimnisloser – was vielleicht auch nur der Sprache (und dem Verstehen) geschuldet ist, denn Wagner hatte sich hörbar um metaphorische wie klangliche Entsprechungen bemüht.
Geradezu vorbildlich exerzierte er verschiedene Möglichkeiten des Motiveverspinnens vor, griff Versformen und Rhythmen, aber auch wörtlich einzelne Zeilen auf oder übertrug – besonders gelungen – die schottischen Sagen- und Seemannsgarnmotive, auf die sich schon Robertson emphatisch bezieht, in deutsche Reviere. Mit einem Wort: Robertson berührte die Herzen, Wagner glänzte als souveräner Meister seiner Kunst.
Narkotisiertes Lallen
„Das war Dur, jetzt bekommen Sie Moll“, kündigte Terézia Mora ihre Antwort auf A. L. Kennedy an. Doch das Gelächter, das zuvor Kennedys Lesung aus ihrem gerade erschienenen Prosaband „Was wird“ erntete, verdankte sich dem ironischen, sich mit dem Publikum heiter verschwörenden Augenzwinkern, mit dem die Schottin die in Zehnjahressprüngen geschilderte Leidensgeschichte einer ewig gepeinigten Zahnarztpatientin performte. „Author and Stand-up Comedien“ steht auf ihrer Homepage, und es stimmt: Lässig übernahm sie die lallende Rede ihrer schwer narkotisierten Icherzählerin und schilderte die Dentistenfolter so fürchterlich plastisch, dass lachen die letzte Rettung war.
Doch Komik ist in A. L. Kennedy Storys – und auch in dieser – eine bitter notwendige Überlebensstrategie, die vor Einsamkeit und Verzweiflung schützt. Bei Terézia Mora, die ihrerseits eine leidende, schwerkranke Icherzählerin während eines einzigen Tages begleitet und deren Isolation und Verkapselung eine erzählerische Form zu geben versucht, regiert dagegen der Sarkasmus, die Wahrnehmung der Welt als Groteske. Eine Mischung, die es in der Kunst wie im Leben schwerer hat.
Nein, vor Kopisten und Dieben brauchte sich an diesem Abend niemand zu fürchten, genauso wenig wie vor Einspruch oder Kritik der Kollegen. Das Eigene siegte auf der ganzen Linie – das KOOK-Spiel hat es besonders kenntlich gemacht. EVA BEHRENDT