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Archiv-Artikel

koreanische woche der wahrheit: ins hitler oder meinhof? von CHRISTIAN Y. SCHMIDT

Als ich vor drei Wochen mit dem Schiff von China nach Südkorea übersetze, weiß ich noch nicht, dass auf der diesjährigen Buchmesse Korea Gastland sein wird. Was interessiert mich hier in Asien irgendein minderer Event in den zentraleuropäischen Elendsregionen? Mein Gastgeber, der berühmte Rechtsgelehrte Prof. Dr. Tae Young Ha, den ich im süd-südkoreanischen Masan treffe, zeigt sich entsetzt: „Was, du willst nichts von der Buchmesse wissen? Gerade habe ich hier einen großen Artikel über das Weltereignis veröffentlicht.“ Selbstverständlich entsetzt er sich auf Deutsch.

Deutsch – die Koreaner gehen kaputt auf diese Sprache. Das wird mir klar, als ich aus meinem Zimmer im 20. Stock des „Lotte“-Hotels auf die Skyline von Busan blicke. „Lotte“-Hotels sind die luxuriösesten in ganz Korea, sie gehören zu einem Konzern, der auch noch Lotte-Kaufhäuser besitzt, die exquisite Lotte-Lebensmittel verkaufen. Doch warum ausgerechnet „Lotte“? Ganz einfach: Konzerngründer Sin Kyok-ho las in seiner Jugend „Die Leiden des jungen Werther“, verliebte sich in die Hauptfigur, nach der er dann seine erste kleine Kaugummifabrik benannte. Heute heißen die Schnellimbisse des Imperiums „Lotteria“ – die einzige Hamburgerkette der Welt, die irgendwie nach einem Goethe-Text benannt wurde. Leider schmecken die Burger wie Hermann oder Dorothea, auf jeden Fall nicht gut.

Lotte ist nicht allein in Südkorea. Man hat hier Motels, die „Liebe“ heißen, Privatschulen, an denen „Kinder Gehirn Lernen“ steht, und im Seouler Studentenviertel Hongik einen Laden namens „Volkswagen“, der mit einem VW-Käfer-Hinterteil und der Aufschrift „In diesem Platz gibt es immer etwas Neues“ um Kundschaft wirbt.

Die Germanophilie der Koreaner geht so weit, dass sie sogar deutsche Lehnwörter in ihre Sprache aufgenommen haben. „Areubaiteu“ zum Beispiel kommt von „Arbeit“ und bedeutet Aushilfsjob. Das am meisten verbreitete deutsche Wort im Koreanischen aber ist „Hof“. So heißt hier jede Kneipe, und da die Koreaner dem Alkohol sehr zugetan sind, lese ich das Wort so oft an jeder Straßenecke, dass mir bald unheimlich wird.

„Kann“, frage ich mich, „so viel Liebe zum Deutschtum überhaupt gut gehen?“ Kann es selbstverständlich nicht. Auf einem Streifzug durch Busan stoße ich im Stadtteil Bukgu auf einen „Hof“ in einem vierstöckigen Gebäude, an dessen Fassade das Bild des bekanntesten Deutschen aller Zeiten prangt. Der Laden mit Live-Musik heißt „Hitler-Hof“*, im Treppenhaus hängt die Reproduktion eines Nazi-Gemäldes, auf dem der Führer im Kreis von SA-Männern eine Hakenkreuzfahne schwingt. „Es lebe Deutschland“ steht darunter.

„Okay, das war’s, Südkorea“, denke ich bereits, als am letzten Tag meiner Rundreise ein anderer Hof in Seoul dann doch noch die Ehre des kleinen Landes rettet. Er steht im Stadtteil Insa-dong und nennt sich „Meinhof“. Ich habe beschlossen, den Laden links daneben zu kaufen, der den blöden Namen „Day Story Hof“ trägt, und in „Baader“ umzutaufen. So wie ich die Koreaner kenne, wird er Bombe laufen.

* Wer’s nicht glaubt: Einfach 00 82-51-3 41 33 39 wählen und den Führer des Etablissements nach dem Abendprogramm fragen.