piwik no script img

Archiv-Artikel

„Das war eine Ohrfeige“

Lothar Bisky empfindet seine Abstrafung im Bundestag als „Demütigung für die Partei“. Trotzdem sagt er: „Meine Nichtwahl ist ein demokratischer Akt“

INTERVIEW JENS KÖNIG

taz: Lothar Bisky, Sie sind bei der Wahl zum Bundestagsvizepräsidenten dreimal hintereinander durchgefallen. Haben Sie das Gefühl, dass diese Abstrafung Ihnen persönlich galt?

Lothar Bisky: Ich bin kein Masochist. Mir hat dieser Vorgang natürlich nicht gefallen. Aber in dieser Deutlichkeit war das eine Ohrfeige für die Linkspartei.

An Ihnen hat man sich für Lafontaine und Gysi gerächt?

Lafontaine sagte mir gestern, 50 Prozent der Neinstimmen gingen auf sein Konto. Ich habe geantwortet: Oskar, 30 Prozent, mehr überlasse ich dir nicht. Ich gestehe ja: Ich wollte die Linkspartei, ich wollte Lafontaine und Gysi zusammenführen, ich habe meinen Beitrag dazu geleistet. Das nehmen mir die anderen übel – das haben mir etliche Sozialdemokraten und Christdemokraten auch so offen gesagt. Die Linkspartei stört sie.

Wer sich einer solchen Abstimmung stellt, muss mit dem Risiko leben, nicht gewählt zu werden. Hat die Linkspartei Schwierigkeiten, dieses demokratische Grundprinzip zu akzeptieren?

Überhaupt nicht. Ich habe mich immer für Demokratie eingesetzt. Wenn ich jetzt – zum ersten Mal in meinem Leben – bei einer Wahl durchfalle, dann akzeptiere ich das. Meine Nichtwahl ist ein demokratischer Akt.

Trotzdem wollen Sie sich im Bundestag erneut zur Wahl stellen. Sind Sie stur?

Ja, da bin ich stur – jetzt spreche ich jedoch nicht in eigener Sache, sondern als Vorsitzender der Linkspartei. Wir akzeptieren nicht, dass hier ohne jede Frage zur Person, ohne eine Chance zur Stellungnahme abgeurteilt wird. Das empfindet die Partei als Demütigung. Und wir können selbstverständlich nicht hinnehmen, dass die anderen darüber bestimmen wollen, wen unsere Partei zur Wahl stellt. Es geht um dieses Prinzip – nicht um meine Person.

Empfinden Sie diese Aburteilung persönlich auch als Demütigung?

Nein. Ich habe schon Schlimmeres erlebt. Die größte Demütigung, die ich je im Bundestag erlitten habe, war der Umgang mit Stefan Heym. Heym, dieser große Schriftsteller, hielt 1994 in diesem Haus – das „hohe“ streiche ich bewusst – die Eröffnungsrede als Alterspräsident, als zahlreiche Abgeordnete aus Protest den Saal verließen. Schäbiger kann man mit Menschen nicht umgehen. Diesen Vorgang werde ich nie vergessen, weil Heym in meinem Leben eine große Rolle spielte. Ich war mit ihm befreundet.

Trotzdem, es ist und bleibt ein Grundrecht: Der Abgeordnete ist in seiner Entscheidung frei.

Selbstverständlich. Aber es gibt auf der anderen Seite eine Geschäftsordnung. Meine Partei hat die parlamentarischen Regeln akzeptiert. Sie hat Lammert zum Bundestagspräsidenten gewählt, was nicht selbstverständlich ist. Sie hat Thierse zum Vizepräsidenten gewählt, obwohl er unsere beiden Abgeordneten Petra Pau und Gesine Lötzsch im letzten Bundestag nicht fair behandelt hat. Wir beweisen demokratische Reife und sagen: Ein CDU-Mann kann ein guter Präsident sein. Wir erwarten nicht mehr und nicht weniger, als dass auch die anderen Parteien die Regeln akzeptieren. Oder gibt es 15 Jahre nach der Einheit wieder einmal Gleichere unter den Gleichen im Bundestag?

Als Vizepräsident müssten Sie den gesamten Bundestag repräsentieren. Ist es da klug, dass Sie sich ausgerechnet als Parteivorsitzender für dieses Amt bewerben?

Ich halte das für ein vorgeschobenes Argument. Aber selbst wenn – darüber hätte man ja vor der Abstimmung reden können. Im Übrigen bin ich seit einem Jahr Vizepräsident des Brandenburger Landtags. Es hat nicht eine einzige Beschwerde gegeben, dass ich mein Amt nicht überparteilich ausgeübt hätte. Im Gegenteil, die Linkspartei beklagt sich, ich würde sie strenger behandeln als die anderen. Diese Klage ist berechtigt.

Kann es sein, dass viele Abgeordnete Fragen zu Ihrer Person haben, die sie Ihnen nicht stellen wollten?

Dann sollten sie endlich den Mund aufmachen.

Es sind vielleicht Fragen wie diese: Haben Sie jemals als Inoffizieller Mitarbeiter für die Stasi gearbeitet?

Nein, das habe ich nicht. Die Diskussion darüber ist zehn Jahre alt. Es gibt keinen einzigen Beweis dafür, dass ich als IM gearbeitet hätte. Als Rektor der Filmhochschule hatte ich dienstliche Kontakte zur Stasi, es gibt von mir obligatorische Reiseberichte, in meiner angeblichen Akte finden sich wissenschaftliche Vorträge, die ich im Ausland gehalten habe – mehr nicht. Dazu habe ich so oft Stellung genommen. Trotzdem werde ich immer wieder mit unbewiesenen Behauptungen konfrontiert – das langweilt mich.