Clements letzter Amoklauf im Amt

Bei seinen Vorstößen gegen vermeintlichen Sozialbetrug gerät das Arbeitsministerium unter Beschuss. „Zehn Prozent“ an Missbrauchsfällen sind nicht belegt. Broschüre, die von „Parasiten“ spricht, sollte bewusst „journalistische Sprache“ verwenden

„Die reißerische Aufmachungder Schrift istunter Niveau“

von BARBARA DRIBBUSCH

Während die Arbeitslosenzahlen auf Rekordhöhe verharren, hat sich die politische Diskussion über die Erwerbslosen in ungeahnte Tiefen begeben. Nachdem sich ein so genannter Report des Arbeitsministeriums über den angeblichen Sozialmissbrauch von Langzeitarbeitslosen als zweifelhaftes Machwerk entpuppte, erweisen sich jetzt auch vom Ministerium verbreitete Statistiken als unzulässig.

Der amtierende Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) hatte beklagt, dass laut Stichproben bis zu zehn Prozent der Arbeitslosengeld-II-Empfänger die Leistung zu Unrecht beziehen. Der Vizeverwaltungsratschef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Peter Clever, hatte zuletzt sogar von einer „Missbrauchsquote“ von „über zehn Prozent“ gesprochen.

Dabei hatte sich Clever auf eine Telefonaktion der BA bezogen, in deren Zuge 390.000 Empfänger des Arbeitslosengeld II (ALG II) von Behördenmitarbeitern angerufen wurden. 170.000 der Empfänger waren telefonisch nicht erreichbar. 43.000 lehnten eine Befragung am Telefon ab. Bei sieben Prozent der übrigen Angerufenen stellte sich heraus, dass sie nicht arbeitslos waren.

Die Telefonaktion als Grundlage einer generellen Einschätzung für alle Langzeitarbeitslosen zu nehmen, sei jedoch unzulässig, kritisierte Markus Kurth, Arbeitsmarktexperte der Grünen im Bundestag, im Gespräch mit der taz. Die von der BA angerufenen 390.000 Langzeitsarbeitslosen seien nämlich keine repräsentative Stichprobe, sondern eine bestimmte Auswahl gewesen. Dabei habe es sich um Leute gehandelt, die sich lange nicht mehr bei der Arbeitsagentur gemeldet hätten und deren Verbleib unklar gewesen sei. Auch eine Sprecherin der BA bestätigte, dass die Telefonumfrage „nicht repräsentativ“ sei.

In zunehmende Kritik gerät auch der so genannte Report vom Arbeitsmarkt unter dem Titel „Vorrang für die Anständigen – Gegen Missbrauch, ‚Abzocke‘ und Selbstbedienung im Sozialstaat“, der vom Clement-Ministerium herausgegeben wurde. Sozialverbände kritisierten die 33-seitige Broschüre vor allem wegen der Sprachwahl, die Langzeitarbeitslose in die Nähe von „Parasiten“ rückt (siehe Kasten).

Man habe für die Schrift Medienberichte über Sozialbetrug ausgewertet und durch eine externe Journalistin in den Arbeitsagenturen Missbrauchsfälle prüfen lassen, erklärte Andrea Weinert, Sprecherin im Bundesministerium für Arbeit, auf Anfrage. Man habe sich dabei bewusst „einer journalistischen Sprache“ bedient, um „mehr Aufmerksamkeit zu erzielen“. In dem „Report“ finden sich keine Daten, sondern lediglich Einzelfälle. Die reißerische Aufmachung sei „unter Niveau“, rügte Kurth.

Die Vizechefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Ursula Engelen-Kefer, sagte der taz, man könne vermuten, dass die Kampagne gegen den Sozialmissbrauch auch deswegen gefahren werde, um das Leistungsniveau für die Empfänger von Arbeitslosengeld II zu verschlechtern. Dabei sei auch die Wiedereinführung des Unterhaltsrückgriffes zu befürchten. Der Unterhaltsrückgriff sieht vor, dass die Einkommen von Eltern oder Kindern für Bezieher von Arbeitslosengeld II herangezogen werden. Ein solcher Rückgriff galt für die Empfänger von Sozialhilfe, wurde aber für Arbeitslosengeld-II-Bezieher, die nicht im Haushalt der Verwandten leben, abgeschafft.