Kein Streit mehr um Siebenbürgen

Ungarn und Rumänien besiegeln ihre historische Versöhnung mit einer gemeinsamen Regierungssitzung und 15 Kooperationsabkommen. Ungarn gibt Territorialnostalgie auf

BERLIN taz ■ Noch vor wenigen Jahren erschien es unvorstellbar, dass die Regierungen Ungarns und Rumäniens gemeinsam tagen. Doch der politische Willen auf beiden Seiten und vor allem das lange Drängen der EU auf eine historische Aussöhnung der beiden Länder haben es möglich gemacht: Am Donnerstag reiste das ungarische Kabinett zur ersten gemeinsamen Regierungssitzung der Geschichte in die rumänische Hauptstadt.

Die Sitzung fand in hochfeierlicher Atmosphäre im Bukarester Regierungspalast statt und wurde von mehreren rumänischen Fernsehsendern live übertragen. „Ich fühle mich unter Freunden“, sagte der rumänische Regierungschef Tariceanu zur Eröffnung und sprach von einem historischen Ereignis. Der ungarische Regierungschef Gyurcsány sprach davon, dass das Schicksal der Ungarn und Rumänen ein gemeinsames sei. „Die Führer der beiden Länder haben eingesehen, dass die Vergangenheit nicht mehr zu ändern ist“, so Gyurcsány. „Und sie haben den Mut, die Zukunft zu gestalten.“

Das waren mutige Worte zu einer tragischen Vergangenheit, die immer noch in die Gegenwart reicht. Ungarn hatte nach dem Ersten Weltkrieg durch den Vertrag von Trianon Siebenbürgen an Rumänien verloren. Seither beklagt Ungarn das Schicksal seiner dort verbliebenen Landsleute – heute etwa 1,5 Millionen Menschen –, während Rumänien Ungarn Revisionismus vorwirft. Nach dem Sturz Ceaușescus in Rumänien 1989 brachte die historische Feindschaft der beiden Länder Rumänien an den Rand eines ethnischen Bürgerkriegs, als es im März 1990 in der siebenbürgischen Stadt Tîrgu Mures (Neumarkt) zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Ungarn und Rumänen kam. Die mühselige Wende hin zu einer Versöhnung setzte 1995 ein, als die beiden Länder einen Grundlagenvertrag unterzeichneten. Ende 1996 nahm die Organisation der ungarischen Minderheit in Rumänien (UDMR) erstmals an einer rumänischen Regierungskoalition teil.

So erfolgreich die politische Befriedung verlaufen ist, so wechselhaft sind jedoch noch immer die Stimmungen. Zwar ist die Zeit, als rumänische Medien konzertierte antiungarische Kampagnen entfachten, inzwischen vorbei. Dennoch bricht regelmäßig Streit auf. Anfang des Jahres verbot das rumänische Kulturministerium die Vorführung eines ungarischen Films über den Vertrag von Trianon in rumänischen Kinos. Und erst vor wenigen Tagen demonstrierten radikale Ungarn in Siebenbürgen für eine eigenständige ungarische Universität, was zu deutlichem Unmut in der rumänischen Öffentlichkeit führte.

Solche heiklen Themen standen zwar nicht auf der Tagesordnung der gemeinsamen Regierungssitzung. Dennoch ging das Treffen über protokollarische Gesten deutlich hinaus. In insgesamt 15 Abkommen vereinbarten die beiden Regierungen mehr Zusammenarbeit, darunter in Fragen der inneren Sicherheit beider Länder, bei der Flüchtlingspolitik, beim Umwelt- und Hochwasserschutz und im Gesundheits- und Bildungswesen.

Überraschend gab es Beschlüsse auch in bisher strittigen Fragen. So sollen Grenzkontrollen deutlich beschleunigt und zum Teil gemeinsam durchgeführt werden. In der nordostrumänischen Stadt Miercurea Ciuc, die in der mehrheitlich von Ungarn besiedelten Region Szeklerland liegt, darf Ungarn nun auch ein Konsulat eröffnen. Und schließlich sagte Ungarns Regierungschef Gyurcsány: „Neun von zehn Ungarn haben sich mit der Realität abgefunden. Ungarn beansprucht Siebenbürgen nicht.“ KENO VERSECK