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Archiv-Artikel

Auszeichnung für Antisemitismus

STREIT Jakob Augstein wurde vom Simon Wiesenthal Center in die „Top Ten der anti-semitischen Beschimpfungen“ gewählt. Für Journalist Henryk M. Broder noch zu nett

Jakob Augsteins Kolumnen sind nicht antisemitisch zu lesen, sie sind eindeutig antiisraelisch

VON CIGDEM AKYOL

Jakob Augstein, Herausgeber der linken Wochenzeitung Der Freitag, hat zum Jahresende den internationalen Durchbruch geschafft: Das Simon Wiesenthal Center (SWC) setzte ihn auf Platz 9 der „2012 Top Ten Anti-Semitic/Anti-Israel Slurs“, also die „Top Ten der antisemitischen und antiisraelischen Beschimpfungen“.

Grund für die Platzierung sind Augsteins wöchentliche Kolumnen „Im Zweifel links“ auf Spiegel Online. Der Sohn des Spiegel-Begründers beschäftigt sich in diesen mit politischen Themen, besonders gerne mit Israel, welches er als „Besatzungsmacht“ bezeichnet.

„Früher war es eine Schande, für einen Antisemiten gehalten zu werden“, schreibt Augstein in seiner Kolumne vom 26. November unter dem Titel „Überall Antisemiten“. Und folgert daraus: „Inzwischen muss man einen solchen Vorwurf nicht mehr ernst nehmen. Im Meer der hirn- und folgenlosen Injurien des Internets geht auch diese Beschimpfung einfach unter.“

Doch der Journalist irrt: Diesmal hat es der Vorwurf der Judenfeindlichkeit bis nach Los Angeles ins renommierte SWC geschafft, Augstein ist als einziger Deutscher auf der Liste. Platz eins belegen die ägyptischen Muslimbrüder Muhammad Badie und Futouh Abd al-Nabi Mansour.

Ist Augstein ein von einem linken, intellektuellen Antisemitismus infiziert? Einer der Polterndsten, Henryk M. Broder, hat diese Frage für sich jetzt deutlich mit Ja beantwortet. In seinem „Brief an meinen Lieblings-Antisemiten“ (Welt, 6. 12.) macht sich Broder über Augsteins „Juden-Obsession“ her: „Auch ich kenne einen Antisemiten, den ich mag. (…) Sie, Jakob Augstein, sind ‚my favorite anti-Semite‘.“

Broder ist im Meinungskampf wahrlich nicht der Feinste. „Bei dem Publizisten Henryk M. Broder sind ohnehin schon seit langem alle Bremsen defekt“, attestierte ihm Augstein im November. Eine Diagnose, die durchaus zutreffend ist.

Doch das SWC ist schon eine andere Liga als Broder. Jedes Jahr gibt das Zentrum eine Liste der „meistgesuchten NS-Kriegsverbrecher“ heraus. Die 1977 gegründete internationale Menschenrechtsorganisation hat ihren Hauptsitz in Los Angeles und wurde nach dem österreichischen Juden Simon Wiesenthal (1908 bis 2005) benannt. Der Nazijäger verlor viele Angehörige während des Holocaust. Das Wiesenthal-Zentrum kämpft weltweit gegen Rassismus, Antisemitismus, Terrorismus und Völkermord und setzt sich für die Förderung von Toleranz ein. Die Stellungnahmen haben Gewicht und werden weltweit geachtet.

Doch wie hat Augstein es geschafft, auf eine Liste mit Muslimbrüdern, dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad und dem ukrainischen Nationalisten Oleg Tyagnibok zu kommen? Augsteins Kolumnen sind nicht antisemitisch zu lesen, sie sind aber eindeutig antiisraelisch. Was sie auch sein dürfen, es geht nicht um undifferenziertes Beklatschen jeder Zumutung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.

Doch Augstein pauschalisiert nahezu durchgehend, differenziert kaum. Nur vier Beispiele aus seinen Spon-Kolumnen: „Gaza ist ein Gefängnis. Ein Lager. Israel brütet sich dort seine eigenen Gegner aus“ (19. 11.), der israelischen Regierung attestiert er, Kapital aus dem Mohammed-Schmähvideo zu schlagen (17. 9.), „Sie (die israelische Politik) hat Angst vor der Zukunft und außer Gewalt kennt sie kaum eine Antwort“ (15. 9. 2011). Schon alleine Gaza und Lager in einem Atemzug zu nennen ist unerträglich. In einem Beitrag giftet Augstein gegen ultraorthodoxe Juden, die Kinder bespucken würden, und folgert: „Diese Leute sind aus dem gleichen Holz geschnitzt wie ihre islamistischen Gegner. Sie folgen dem Gesetz der Rache“ (19. 11.).

Broder findet sogar, dass der neunte Platz viel zu weit unten sei. „Er gehört weiter nach oben, auf Platz drei etwa“, sagte er der taz und bemängelt insgesamt: „Diese Liste hat einen Fehler. Moderne Antisemiten wie Augstein werden kaum berücksichtigt. Die klassischen Antisemiten und Holocaustleugner stehen zu sehr im Vordergrund.“ Eine Meinung, die angesichts Augsteins Kalender-Polemiken zu weit ausgeholt erscheint.

Ob er, wie ihm vorgeworfen wird, ein Antisemit ist oder sich als missverstandener Kritiker Israels sieht, das kann nur Augstein selbst beantworten. Für die taz war er bisher nicht erreichbar. Auf Facebook postete er diese Stellungnahme: „Für die Auseinandersetzung mit dem und den Kampf gegen den Antisemitismus hat das SWC meinen ganzen Respekt. Umso betrüblicher ist es, wenn dieser Kampf geschwächt wird. Das ist zwangsläufig der Fall, wenn kritischer Journalismus als rassistisch oder antisemitisch diffamiert wird.“