: China sprengt alle Schienen-Rekorde
VERKEHR Mit der neu eröffneten Schnellstrecke zwischen Peking und Guangzhou verfügt die Volksrepublik bereits über das längste Hochgeschwindigkeitsnetz. Doch bis 2020 soll es noch fünfmal so groß werden
PEKING taz | Die USA sind schon lange nicht mehr das Land der Superlative. Zumindest was moderne Großtechnologien betrifft, hat die Volksrepublik China den Amerikanern den Rang abgelaufen. So auch am zweiten Weihnachtstag: Mit einer durchschnittlichen Reisegeschwindigkeit von 300 Stundenkilometern fuhr der chinesische Schnellzug CRH380 erstmals die Strecke zwischen der Hauptstadt Peking im Norden des Landes und der Technologiemetropole Guangzhou in Südchina ab – mit 2.298 Kilometer die bislang längste Hochgeschwindigkeitsstrecke der Welt. Die Jungfernfahrt dauerte acht Stunden. Vor der Eröffnung dieser neuen Strecke betrug die Reisezeit mit dem Zug von Peking nach Guangzhou noch über 20 Stunden.
„Wenn ich morgens in den Zug einsteige, kann ich schon am Nachmittag mit meinen Kindern zusammensitzen“, sagt ein Arbeitsmigrant aus dem Norden Chinas, der in Guangzhou arbeitet und diese neue Strecke abgefahren ist. In der südchinesischen Industriemetropole leben besonders viele Arbeitsmigranten aus der gesamten Volksrepublik.
Vor allem zu dem bevorstehendem Frühlingsfest in der ersten Februarhälfte erwarten die Behörden, dass sich mehr als 32 Millionen WanderarbeiterInnen auf den Weg in ihre Heimatregionen machen werden. In den vergangenen Jahren stand der Verkehr rund um die Feiertage auf den Strecken von und nach Guangzhou stets fast vor einem Zusammenbruch. „Mit der Aufnahme dieser zentralen Strecke nimmt Chinas Hochgeschwindigkeitsnetz Gestalt an“, verkündete der Direktor für Technologie des chinesischen Bahnministeriums, Zhou Li, stolz. Die Züge sind eine chinesische Eigenproduktion, wobei zahlreiche Teile unter anderem von Siemens, Bosch und Bögl geliefert werden.
Die neu eröffnete Trasse ist denn auch nur ein vorläufiger Rekord. Seit Einführung der neuen Technologie vor fünf Jahren ist das chinesische Hochgeschwindigkeitsnetz bereits auf mehr als 9.300 Kilometer angewachsen. In den kommenden Jahren soll der rasante Ausbau weiter gehen: Die Strecke zwischen der südwestchinesischen Stadt Chengdu bis hinauf nach Schanghai steht unmittelbar vor der Eröffnung, ebenfalls die zwischen Peking und der alten Kaiserstadt Xi’an in Zentralchina bis hinauf nach Lanzhou. Und auch innerchinesische Strecken wie die von Zhengzhou nach Xuzhou stehen kurz vor ihrer Vollendung. Bereits bis Ende 2014 will das chinesische Eisenbahnministerium das Netz auf 19.000 Kilometer ausweiten, bis 2020 gar auf die gigantische Zahl von 50.000 Streckenkilometern.
Wenn diese Pläne tatsächlich so umgesetzt werden, wie vom Eisenbahnministerium verkündet, liegt der Finanzierungsbedarf Analysten der Schweizer Bank UBS zufolge bei 80 Milliarden Yuan im Jahr (rund 9,7 Milliarden Euro). Die Finanzierung steht aber auf der Kippe. Denn zumindest bislang ist jeder einzelne Hochgeschwindigkeitszug ein Verlustgeschäft. Die Tickets etwa bei der neuen Strecke Peking–Guangzhou kosten umgerechnet zwischen 100 und 350 Euro. Bei einem Durchschnittsverdienst von rund 500 Euro im Monat sind sie für einen Großteil der chinesischen Bevölkerung kaum erschwinglich.
Für weitere Probleme sorgten Korruptionsskandale beim Bau der Strecken und ein schwerer Zusammenstoß zweier Hochgeschwindigkeitszüge im Juli 2011, bei dem im Osten des Landes 40 Menschen ums Leben kamen und 190 verletzt wurden.
Dennoch könnte sich der chinesische Hochgeschwindigkeitszug schon bald zu einem Exportschlager entwickeln. Saudi-Arabien hat bereits die chinesische Technik bestellt; auch Russland, Thailand und Brasilien haben Interesse bekundet. FELIX LEE