Linke Generalin oder treuer Diener

SPD-Chef Müntefering will seinen loyalsten Mitarbeiter, Kajo Wasserhövel, zum Generalsekretär machen. Doch gerade den Linken in der Partei missfällt der Plan. Sie rufen nach Andrea Nahles – die Thierses Rückzug von der Spitze ausgleichen könnte

von ULRIKE WINKELMANN

Diese Woche, vielleicht heute schon, entscheidet die SPD, wer ihr Generalsekretär werden darf. Ungewöhnlich deutlich hat SPD-Multichef Franz Müntefering am Wochenende kundgetan, wen er an dieser wichtigen Schaltstelle zwischen Regierung und Partei sehen will: seinen bisherigen Geschäftsführer und Wahlkampfmanager Kajo Wasserhövel. Müntefering erklärte im Spiegel: „Er hat längst eine wichtige Funktion im Willy-Brandt-Haus und in der Partei. Er kann auch Generalsekretär. Ich werde ihn dafür vorschlagen.“

Doch auch Andrea Nahles, frisch gewählte Bundestagsabgeordnete mit Sitz auch im SPD-Präsidium, kämpft um den Posten. Ihr ist es gelungen, nicht nur die SPD-Linke inner- und außerhalb des Bundestags hinter sich zu versammeln, sondern auch Vertreter der Agenda-2010-treuen „Netzwerker“. Zu Müntefering und Wasserhövel hält nur der rechte SPD-Flügel, die Gruppe der „Seeheimer“.

Eine für gestern Abend angesetzte Präsidiumsrunde der SPD wurde auf heute verschoben, um noch ein Paar Stunden mehr Zeit zum Verhandeln zu haben. Doch wesentlich länger wird die Partei sich diesen Personalstreit ohne Ansehensverlust kaum leisten können. Münteferings öffentliche Festlegung kommt einer Erpressung der Parteispitze gleich: Unterliegt er, muss die ganze SPD mit einem geschwächten Partei- und Fraktionschef und Vizekanzler und Arbeitsminister in die große Koalition ziehen. Nahles, 35, dagegen hat weniger zu verlieren: Unterliegt sie, wird sie mit Sicherheit bei der nächsten Postenrunde berücksichtigt.

Wie so oft hängt auch an dieser Personalie eine Struktur-, also eine politische Frage. In der Partei hat sich der Eindruck breit gemacht, Müntefering wolle die SPD komplett seiner Person und seinen Regierungsabsichten untertan machen. Von der idealistisch-temperamentvoll auftretenden Nahles erhoffen sich viele, dass sie als Generalin einen Kontrapunkt setzen und so die Ehre der Partei in Zeiten absehbarer Zugeständnisse an die Union retten würde. Der jetzt abtretende General Klaus Uwe Benneter hat allerdings wie sein Vorgänger Olaf Scholz eher bewiesen, dass der Job wenig Gelegenheit für selbstständiges Denken und Profilierung bietet.

Als Gegenbeispiel hierzu taugt wiederum Müntefering selbst: Für ihn wurde 1999 extra dieser Posten geschaffen – um den Lafontaine-treuen Bundesgeschäftsführer Ottmar Schreiner abzudrängen. Der weitere Verlauf seiner Karriere ist bekannt. Sollte Nahles Münteferings Beispiel nacheifern, wüchse in der Partei vermutlich weniger der Charakter als der Führungskrach.

Rein flügelarithmetisch jedoch drängt eine Aufwertung der linken Exponentin Nahles. Denn am Wochenende kündigte ein anderer Linker seinen Rückzug aus der Parteispitze an: Wolfgang Thierse macht den Sitz im Parteipräsidium frei für den nichtlinken brandenburgischen Ministerpräsidenten und Ostler Matthias Platzeck. Zum Tagesspiegel sagte Thierse, der auch gerade den Posten als Bundestagspräsident verloren hat: „Ich habe gelegentlich das Gefühl, dass ich der dienstälteste Parteivize der Welt bin.“

Schon in dieser Formulierung taucht hinter dem vorgeschobenen „Verjüngungs“-Argument das Motiv der Enttäuschung auf: Der letzte prominente Ostbürgerrechtler der SPD wirft hin. Noch 2004 hegte Thierse die Hoffnung, mit einem neuen Parteiprogramm die Seele der Sozialdemokratie wieder aufzupäppeln: Es gehe um die „Stärkung der Politik“. Die Neuwahl hat die Programmdebatte jedoch erst einmal ruiniert. Über das Schicksal der sozialdemokratischen Seele in einer großen Koalition dürfte Thierse sich keine Illusionen machen.