Anklage: Mord

INDIEN Für den Fall der vergewaltigten Studentin wird ein Schnellgericht geschaffen. Sechs Männer beschuldigt

Anwaltskammern riefen ihre Mitglieder auf, die Angeklagten nicht zu verteidigen

AUS DELHI STEFAN MENTSCHEL

Indiens Ermittlungsbehörden waren schnell: Zweieinhalb Wochen nach der brutalen Vergewaltigung einer Studentin in einem Bus von Delhi haben sie am Donnerstag ihre Anklageschrift bei einem Amtsgericht im Süden der Metropole eingereicht. Die sechs mutmaßlichen Täter werden darin für den Tod der 23-Jährigen verantwortlich gemacht. Mindestens fünf von ihnen droht die Todesstrafe. Bei dem sechsten – einem Teenager – wird noch geprüft, ob das Jugendstrafrecht zur Anwendung kommen muss. Die Klageschrift umfasst 1.000 Seiten. Der Richter legte den 5. Januar als Termin für die nächste Anhörung fest.

Das Verfahren dürfte dann an ein eigens berufenes Schnellgericht verwiesen werden. Solche Sondergerichte können bei besonders schweren Verbrechen geschaffen werden. Diese Möglichkeit wurde in der Vergangenheit allerdings selten genutzt. Die indische Justiz gilt als hoffnungslos überlastet. Oft vergehen Jahre, bis ein Verfahren überhaupt eröffnet wird. Nach Medienberichten sind vor den Gerichten des Landes rund 30 Millionen Fälle anhängig.

Die Vergewaltigung der jungen Frau am 16. Dezember hatte jedoch einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, sodass sich Politik und Justiz zum schnellen Handeln gezwungen sahen. Indiens oberster Richter gab am späten Mittwochabend persönlich die Erlaubnis für das Sondergericht. Es sei an der Zeit, ein deutliches Zeichen für den Umgang mit „so abscheulichen“ Gewalttaten zu setzen, sagte Altamas Kabir in Neu-Delhi. Die Justiz müsse Verbrechen gegen Frauen in Zukunft „größtmögliche Aufmerksamkeit“ widmen.

Insgesamt rufen die Ermittler in ihrer Anklage 30 Zeugen auf. Besonders schwer wiegen dürfte die Aussage der vergewaltigten Frau, die kurz nach der Tat im Krankenhaus vernommen worden war. Anschließend hatte sich ihr Gesundheitszustand rapide verschlechtert, sie starb kurz vor dem Jahreswechsel in einer Spezialklinik in Singapur an ihren schweren Verletzungen.

Als Hauptbelastungszeuge gilt seitdem ihr Begleiter. Der junge Mann war am Tatabend gemeinsam mit ihr in den Bus gestiegen, in dem außer dem Fahrer und seinen fünf Kumpanen keine Passagiere saßen. Die Männer verprügelten ihn mit einer Eisenstange und zwangen ihn mitanzusehen, wie sie die Studentin vergewaltigten und grausam misshandelten. Dann warfen sie ihre Opfer aus dem Bus.

Unter Juristen ist nun eine heftige Debatte über die Verteidigung der Angeklagten vor Gericht entbrannt: Mehrere Anwaltskammern in Neu-Delhi haben ihre Mitglieder dazu aufgerufen, die sechs Männer nicht zu vertreten. „Wir haben die Sachlage besprochen und entschieden, dass ihnen kein Rechtsanwalt aus der Hauptstadt zur Seite stehen wird“, erklärte Rajiv Khosla von der Delhi Bar Association in der Zeitung Hindustan Times. Viele Anwälte wollten lieber die Anklage unterstützen.

Widerspruch kam von Richtern und Rechtsexperten. „Wenn ein Beschuldigter nicht die Möglichkeit hat, sich zu verteidigen, könnte das Verfahren im Nachhinein für ungültig erklärt werden“, sagte der ehemalige Richter am obersten Gericht, R. S. Sodhi, dem Blatt. „Laut Verfassung hat jeder Angeklagte das Recht, verteidigt zu werden“, ergänzte Verfassungsrechtler Subhash Kashyap. Wenn sich kein Anwalt finde, müsse das Gericht einen Pflichtverteidiger bestimmen. Ein Grund für den Boykottaufruf der Delhier Anwaltskammern könnte die Angst vor Racheakten wütender Bürger sein.

Im Zentrum der Hauptstadt demonstrierten am Donnerstag erneut zahlreiche Menschen für mehr Sicherheit für Frauen und für schärfere Gesetze. Gleichzeitig forderten die vorwiegend jungen Leute die Todesstrafe für die sechs Angeklagten: „Wir wollen Gerechtigkeit und werden nicht eher ruhen, bis wir sie bekommen“, sagte eine Teilnehmerin.