Keine Chance

Richterin übt scharfe Kritik am Jugendstrafvollzug im Raubprozess gegen so genannten „Dabelstein-Mörder“

Selbst die Teilnahme an einem Anti-Aggressionstraining wurde abgelehnt

Vernichtendes Urteil über den Hamburger Jugendstrafvollzug: „Es gibt Jugendliche, die haben keine Chance, da sie intensive psychologische Hilfestellung brauchen“, sagte gestern die Vollstreckungs- und Jugendrichterin Margrit Glogau-Urban im Raubprozess gegen Christian L. Zu denen gehörte auch der heute 23 Jahre alte Angeklagte, der 1998 als so genannter „Dabelstein-Mörder“ durch die Gazetten geisterte. Zurzeit werden ihm vier Raubüberfälle nur eine Woche nach der Haftverschonung vorgeworfen. Die Justizbehörde habe alle sinnvollen Resozialisierungsversuche „torpediert“, so der Vorwurf der Richterin.

Glogau-Urban kennt L. seit seiner Einlieferung ins Jugendgefängnis Hahnöfersand 1998 nach einer Verurteilung zu acht Jahren Jugendhaft wegen des Raubmordes an dem Lebensmittelhändler Willi Dabelstein. „Er war eine höchst problematische Person“, berichtet sie. „Er war hochgradig gestört, bewegte sich an der unteren Intelligenzschwelle.“ Erst langsam sei es einer Psychologin und einem Lehrer gelungen, sein Vertrauen zu gewinnen und ihm Lesen und Schreiben beizubringen. Alle guten Ansätze seien 2002 abrupt zunichte gemacht worden, als die Psychologin „von einem Tag auf den anderen“ versetzt und L. der Planung eines Ausbruchs mit Geiselnahme bezichtigt worden sei. Davon sei L. zwar freigesprochen worden, wegen der „aufgeheizten Stimmung“ in Hahnöfersand aber im Erwachsenenvollzug gelandet.

Obwohl Glogau-Urban als seine Vollstreckungsrichterin bereits 2003 anordnete, durch einen Gutachter und einen Bewährungshelfer L. frühzeitig auf die Entlassung vorzubereiten, habe es nur Ablehnung gegeben. „Alle hatten die Idee, ihn durch begleitete Ausgänge an ein Leben in Freiheit zu gewöhnen“, berichtet Glogau-Urban, „dazu ist es aber nie gekommen, weil die Behörde es nicht wollte.“ Ihr Vorwurf: „Ich behaupte, er stand auf der schwarzen Liste, die es natürlich nicht gibt.“ Selbst die Teilnahme an einem Anti-Aggressionstraining sei abgelehnt worden.

Glogau-Urban hält ihren Entschluss, L. am 26. April 2005 vorzeitig aus der Haft zu entlassen, weiter für richtig – zumal mit der Pestalozzi-Stiftung eine Einrichtung für begleitetes Wohnen gefunden war. „In den letzten zwei Jahren ist nichts Negatives mehr gewesen“, sagt sie. „Ich stehe dazu, dass eine bedingte Entlassung begleitet vom Bewährungshelfer eine größere Chance bietet als unvorbereitete Entlassung bei Endstrafe.“

Diese entlastende Aussage der Richterin kann für L. von Bedeutung sein. Denn in dem Raubprozess vor dem Landgericht geht es für ihn um Sicherheitsverwahrung. Unmittelbar nach seiner Entlassung soll er mit einem Messer vier Personen überfallen haben, in zwei Fällen dürfte das bewiesen sein. „Oh Gott, das ist er“, sagte gestern ein 56-Jähriger aus, den L. am 3. Mai morgens an der Alster attackiert haben soll. Auch eine Studentin (30), die er am selben Tag mit einem Messer bedroht haben soll – „Ich tu dir nichts, ich will nur dein Geld“ – will ihn gestern wieder erkannt haben. Der Prozess wird fortgesetzt. KAI VON APPEN