: Glanz und Galeristen
Wo das Talent platziert wird: Das opulente Coffee-Table-Book „Insight Inside“ skizziert die Geschichte der Kunstgalerien von 1945 bis heute. Man lernt: Die Galerie offen zu halten, ist das wahre Kunststück
VON BRIGITTE WERNEBURG
Der Band war lange angekündigt. Jetzt, wo er endlich vorliegt, überrascht seine opulente Aufmachung. Reich mit Fotos bestückt, vielfach mit doppelseitigen Farbabbildungen, signalisiert der schwergewichtige Foliant mit seinen 540 in Leinen gebundenen Seiten, hier gehe es um die Quintessenz. Wenigstens aber um ein Standardwerk, mit dem „erstmals eine umfassende internationale Geschichte des modernen Galeriensystems“ vorliege, wie die Herausgeber Uta Grosnick und Raimar Stange in ihrem Vorwort schreiben. Doch dieses Versprechen kann „Insight Inside“, der Band, der gerade mal 77 „Galerien 1945 bis heute“ vorstellt, nicht einlösen. Das mussten die Herausgeber wissen. Warum also haben sie die längst überfällige Geschichte nicht lässiger präsentiert?
Es hätte schon geholfen, die strenge Sortierung von je rund 12 Galerienporträts pro Dekade ab den 90er-Jahren aufzulösen. Die Zahl der Porträts zu erhöhen und gleichzeitig deren Umfang zu reduzieren, wäre eine richtige Aussage über die internationale Galerienszene gewesen, die dem Wachstum der Branche Rechnung getragen hätte. Die einflussreichen Galerien der Nachkriegszeit vorzustellen, ist nicht nur deshalb unproblematisch, weil heute Klarheit über die Namen der maßgeblichen Künstler wie über die Namen ihrer Galeristen herrscht. Es ist auch deshalb unproblematisch, weil die Zahl der Galerien zu dieser Zeit noch überschaubar war. Das lässt sich inzwischen nicht mehr sagen. Allein in Berlin scheint jeden Tag eine neue Galerie zu eröffnen.
Dagegen schloss 1969 die legendäre Amsterdamer Galerie Art & Project. Allerdings nur für den Zeitraum der Ausstellung von Robert Barry: „During the exhibition the gallery will be closed.“ Der amerikanische Konzeptkünstler machte die Galerie selbst zum Thema und erklärte sie für geschlossen, also funktionslos zum Kunstwerk. Nach der Lektüre von „Insight Inside“ weiß man allerdings, die Galerie offen zu halten, ist das wirkliche Kunststück. Oft in finanzieller Hinsicht, immer aber in Hinblick auf die nötige Geistesgegenwart, um die Verbindung mit den aktuellen künstlerischen Entwicklungen zu halten und damit auch die Bedeutung der Galerie. Als die 1966 in Rom gegründete Galerie L’Attico drei Jahre später den Galerieraum zugunsten einer Tiefgarage aufgab, in der dann Jannis Kounellis zwölf lebende Pferde zur Kunst erklärte, Mario Merz in gleicher Absicht aber nur sein Auto parkte, wurde die Galeriearbeit selbst zur Glanznummer. Begehbare Rauminstallationen, Performances, Happenings und Aktionen, oft mit wenig für Innenräume tauglichen Materialien wie kochendem Asphalt im Falle von Robert Smithson beginnen den Rahmen des üblichen Galerienalltags zu sprengen. Natürlich sind solche spektakulären Verlagerungen der Galeriearbeit nicht nur der adäquaten Präsentation der Kunstwerke geschuldet. Oft verdanken sie sich dem Mangel an Kapital. Konrad Fischer startete seine Galerie 1967 in einem Hausdurchgang, der sich allerdings nicht für ihn als Anfänger, sondern auch für sein Minimal-Art-Programm als ideal erwies. Von der grundlegenden Erfordernis bei der Vermittlung schwieriger, weil neuer, zeitgenössischer Kunst Ideenreichtum zu entwickeln, zeugt die Unzahl von Anekdoten, mit der die zehn Autoren der einzelnen Beiträge aufwarten. Ob sich Peggy Guggenheim, mit deren 1938 gegründeten Galerie „Art of This Century“ der Band erwartungsgemäß eröffnet, ihren New Yorker Laden vom Wiener Architekten Friedrich Kiesler so einrichten ließ, dass die Bilder auf Baseballschläger montiert werden mussten, oder ob Jay Joplin seinen „White Cube“ 1993 auf vier Quadratmetern unterbrachte, freilich vier Quadratmeter im Auktionshaus Christie’s: Auch diese aufmerksamkeitheischenden Inszenierungen sind nur ein Teil der kniffligen Arbeit, mit gutem Grund die eigenen Entdeckungen, junge unbekannte Talente, der Kunstöffentlichkeit, der Kritik, den Sammlern und Kuratoren von Kunstvereinen und Museen zu empfehlen.
Oft schmerzt es ja geradezu, zu beobachten, wie wirkliche Talente nicht vom Fleck kommen, weil es der Galerie, die sie vertritt, nicht gelingt, sie richtig vorzustellen und zu platzieren. Da ist es schon ein wichtiger Verdienst von „Insight Inside“, auf die genuinen Leistungen des Galeristen, der oft eine Galeristin ist, aufmerksam zu machen. Gleichgültig, wie viel Ärger also der Band den Herausgebern und dem Verlag eingebracht haben muss von Beobachtern, die Verflechtungen und Interessen bei der Auswahl der jüngsten Beispiele vermuten.
Uta Grosenick, Raimar Stange (Hrsg.): „Insight Inside. Galerien 1945 bis heute“. DuMont Verlag Köln 2005, 540 Seiten, cira 500 Abbildungen, 64 €