jazzkolumne
: Ein improvisierender Vietnamveteran

Erst der Jazz heilte den Geiger Billy Bang von seinem Vietnamtrauma – kürzlich machte er Aufnahmen mit vietnamesischen Musikern

Als der afroamerikanische Geiger Billy Bang vor zehn Jahren nach Berlin kam, um einige Zeit zu bleiben, hatte er nur eine einzige LP mit dabei, die er stolz zu jedem Interview mitnahm und vorspielte. Auf ihr gab es eine gemeinsame Aufnahme mit dem Trompeter Don Cherry und ihm. Vor fünf Jahren verließ Bang Berlin dann wieder Richtung New York, um bei einigen der wichtigsten Jazz-Plattenaufnahmen der jüngsten Zeit dabei zu sein. Mit dem CD-Projekt „Vietnam: the Aftermath“ änderte sich für den New Yorker Musiker sein Leben. Bei dieser CD ging es um die schwierige Aufarbeitung (afro)amerikanischer Geschichte, Bang hatte eine Band schwarzer Veteranen zusammengestellt, die bis heute unter den Eindrücken leiden, die sie als junge Männer im Vietnamkrieg erfuhren. Ein ungemein intensives Musikdokument, das zugleich der Selbsttherapie dienen sollte.

Die Jazz Foundation of America hatte Bang geholfen, wieder auf die Beine zu kommen. In den USA meldeten sich sogar viele Vietnamveteranen bei ihm – aus Dankbarkeit, auch sie hatten vergeblich versucht, ihre Albträume mit Drogen und Alkohol zu bezwingen, irgendwie diese verdammten Bilder der Zerstörung wegzukriegen. „Ich war ja als Soldat in Vietnam, ich wurde dorthin geschickt“, berichtet Bang, „Vietnam war in mir drin, außer wenn ich betrunken war oder Heroin nahm, doch das kickt dich dann weg – Vietnam hat mich nie verlassen, bis ich die CD machte. Ich kam mit 19 nach Vietnam und mit 21 wurde ich aus der Army entlassen, ich kam als Antiamerikaner zurück, die Vietnamesen hatten mich besser behandelt als das rassistische Amerika.“

Nach seiner Rückkehr in die USA wurde er ein „extremer Linker“, schildert Bang, ein Außenseiter, der sich mit Waffen auskannte. „Ich hatte nichts zu verlieren, war total verwirrt, fühlte mich vergewaltigt und von der Regierung betrogen, die Musik rettete mich, nach dem vielen Töten wollte ich Frieden, so kam ich zur Musik.“ Kein Blut mehr, keine Schmerzen – es sei keine tolle Sache, als Vietnamveteran zurückzukommen und mit Eiern beschmissen zu werden. Erst nach dem 11. September 2001 habe sich das Verhältnis der Amerikaner gegenüber den Vietnamveteranen gerändert.

Billy Bang, Jahrgang 1947, wuchs in der South Bronx, New York, auf. Er hatte schon als Kind in der Schule Geige gelernt, doch erst viel später „entdeckte“ er das Instrument für sich. Der Free-Jazz-Geiger Leroy Jenkins motivierte Bang später dazu, Musiker zu werden, acht Jahre spielte Bang mit der Musikerkommune von Sun Ra zusammen. Beim kanadischen Justin-Time-Label ist nun die Fortsetzung von „Vietnam: the Aftermath“ erschienen. Auf „Vietnam: Reflections“ (Vertrieb: Sunny Moon) sind neben dem Saxofonisten James Spaulding, John Hicks, Piano, und Curtis Lundy, Bass, auch die Vietnamveteranen Ted Daniels, Trompete, Michael Carvin, Schlagzeug, und der Dirigent Butch Morris wieder dabei. Ergänzend wird dieses afroamerikanische Improvisationsensemble durch zwei in Vietnam geborene Musiker, die gegenwärtig in den USA leben. Co Boi Nguyen wurde Ende des Vietnamkriegs in Hanoi geboren und studiert heute klassische „westliche“ Musik an der Juillard School in New York. Der in Saigon geborene Computerwissenschaftler Nhan Thanh Ngo spielt auf dieser Platte das traditionelle vietnamesische Dan tranh, eine 16-saitige Zitter.

Aus vietnamesischer Sicht klingt Bangs Vorhaben, Jazz mit populären vietnamesischen Songs zu verbinden, neu und entsprechend ungewöhnlich, sagt die Sängerin Co Boi Nguyen. Da Jazz in Vietnam jedoch ein absolutes Underdog-Image habe, geht sie nicht davon aus, dass man dort von diesem Projekt etwas mitbekommt. Für Bang jedoch ist diese CD der zweite Teil einer Trilogie, die mit einer Aufnahme in Hanoi abgeschlossen werden soll. Von einem entsprechenden Filmprojekt ist die Rede, von der Mitwirkung des nationalen vietnamesischen Sinfonieorchesters und der Annahme, dass Bang dann in Vietnam mit Musikern zusammen spielt, die damals auf der anderen Seite gekämpft haben.

Die Platte, die Bang damals durch Berlin begleitete, heißt „Untitled Gift“, mittlerweile ist sie auf CD bei 8th Harmonic Breakdown wieder veröffentlicht worden. Von Don Cherry habe er damals sehr viel gelernt, er brachte Bang in Kontakt zur so genannten World Music, machte ihn mit arabischer und japanischer Musik bekannt – das alles habe ihn entschieden weitergebracht. Bang sagt, dass er sich heute als einer der letzten Avantgardisten fühle, das Problem sei, dass die jüngeren Musiker nicht mehr genügend risikobereit seien. Im Jazz geht es seiner Meinung nach um die Freiheit, seine eigenen Besonderheiten zum Ausdruck zu bringen. Die Musik auf den Vietnam-Platten ist ein Experiment, asiatische Klangfarben mit afroamerikanischem Jazz zusammenzubringen, resümiert er heute – es sei eine dünne Linie dazwischen, kreativ zu sein und die Dinge intellektuell zu übertreiben. Schon bei der überwältigenden Vorstellung dieser Musik beim diesjährigen Vision Festival in New York fiel vor allem die für den als Free Player bekannten Bang ungewöhnlich stringente Melodiedominanz auf, und es mag eigenartig stimmen, wenn man „Vietnam: Reflections“ gerade auch deshalb als ein Highlight seiner bisherigen Aufnahmen wertet.

CHRISTIAN BROECKING