piwik no script img

Archiv-Artikel

Jetz bleibt ois anders

Er, Edmund Stoiber, will Bundesminister werden. Aber wie soll es bloß in Bayern weitergehen, ohne ihn, den großen Landesfürsten? Ein freistaatlicher Lagebericht

VON MAX HÄGLER

Nein, nein. In Bayern wird sich nichts ändern. Wir sind ein stures Volk. Nur weil Stoiber vor ein paar Wochen einmal von Jamaika gefaselt und zusammen mit seinen bayerischen Kabinettskollegen herzhaft Scheiße gerufen hat, als seine Partei in seinem Bundesland um mehr als neun Prozent nach unten fiel, geht unser Freistaat nicht unter. Oder wie der politische Gegner sagt: „Wir können viel von Niederlage reden. Aber die CSU ist noch nicht tot, die hat ja eine Zweidrittelmehrheit.“ Für Sepp Dürr, den Chef der bayerischen Grünen-Fraktion, ist klar, wie die Linien in Bayern weiter verlaufen zwischen Schwarz und Grün: „Wir sind die klare Opposition – und jetzt mit der großen Koalition in Berlin auch die einzige wirkliche.“

Ein kleines, versprengtes Häuflein führt der Biobauer und Politiker an im Maximilianeum, dem zugegebenermaßen schönstem Landtag in der mit Abstand reichsten Stadt im glücklichsten Bundesland der Republik. 14 Abgeordnete hat Dürr an seiner Seite, die Roten schaffen es auf 41. Und auch wenn sie im letzten Sommer den Abgang der Schulministerin Monika Hohlmeier ausgelöst haben, sind die Oppositionellen im Grund eine Marginalie. 124 Abgeordnete hat die CSU. Aussicht auf Änderung? Keine.

Seit 1946 sind die Schwarzen die stärkste Kraft im Lande, noch bevor 1949 den Bayern die bundesdeutsche Verfassung nicht zusagte. Zu wenig ging sie auf die Eigenständigkeit ein. Auch Dürr kann da gar nicht anders als zurückzublicken, wenn man ihn nach der Zukunft fragt. Von der Sonderrolle Bayerns spricht er dann. Von König Ludwig II., der sich damals verkauft hat ans Deutsche Reich um gleichzeitig von Berlin regionale Zugeständnisse zu bekommen. Zugeständnisse, die den Bayern immer noch in den Knochen stecken, sie absondern, sie absonderlich machen – natürlich nur in den Augen der anderen. Dabei ist von den sogenannten Reservatrechten eigentlich nicht viel geblieben. Die Biersteuer ist weg, Post und Eisenbahn verwaltet Stoiber auch nicht mehr eigenständig. Nur die autonome Diplomatie, die Reichskanzler Bismarck den Bayern 1871 übertrug, die wird weiter gepflegt. „Solange die CSU eine eigenständige Partei im Bund bleibt, so lange bleiben die Mehrheitsverhältnisse wohl so“, ist Dürr überzeugt. „Die sind bundespolitisch aktiv, damit sie die absolute Mehrheit behalten. Deswegen wird ‚Bayern first‘ das Motto bleiben, das wird sich auch nach Stoiber nicht ändern.“

Bayern first, auch bekannt unter dem Schlagwort Laptop und Lederhosn. Eingeführt übrigens nicht, wie viele politische Beobachter droben in der Berliner Republik glauben, vom Stoiber-Edmund aus Wolfratshausen. Eingeführt hatte das FJS. Der große Franz Josef Strauß. 27 Jahre lang war er CSU-Chef, 10 Jahre war er bayerischer Ministerpräsident, 1980 ist er als Kanzlerkandidat gescheitert, am 3. Oktober 1988 verstorben nach Herzstillstand beim Jagen im Bayerischen Wald, manche meinen auch, beim Schürzenjagen. Genau wissen es wohl allein der Herrgott und die tiefen Archive der Parteizentrale, des Franz-Josef-Strauß-Hauses.

Dort sind auch die Rezepte zu Bayern first versammelt, die man selbst als Bayer und damit mithin als gebürtiger Kenner nur ahnen kann. Es hat etwas mit ausgedehnten Reisen zu tun, mit dem Bäderkönig Zwick, dem Parteispender Flick und anderen guten, wenn auch vielleicht manchmal schmutzigen Kontakten in alle Welt. Mit ihrer Hilfe hob FJS das Airbus-Konsortium aus der Taufe, brachte die Luft- und Raumfahrtindustrie nach Bayern, schuf Arbeitsplätze in dem Sektor, der heute unter dem schnöden Stichwort „Laptop“ firmiert. Und schuf sich selbst ein Andenken, auf dem auch immer wieder sein Verehrer und damaliger Generalsekretär und Staatskanzleichef Stoiber landet: Oft ist der in diesen Tagen auf dem Franz-Josef-Strauß-Airport zu finden, vor den Toren Münchens. Dann geht es entweder nach Berlin zur Merkel oder heim ins Oberland nach Wolfratshausen zur Muschi. So heißt seine Frau. Die muss ihm dieser Tage manches Mal die Seele streicheln. Was mach ich bloß falsch, fragt er dann – alle hauen auf mich ein, und jetzt fetzen sich auch noch der Beckstein-Günther und der Huber-Erwin. Wie soll es bloß weitergehen ohne mich in Bayern, wenn ich in Berlin als Minister sitze?

Denn hier unten streiten nicht nur Innenminister Beckstein und Staatsminister Huber um die Nachfolge als Ministerpräsident – obwohl Stoiber doch noch nicht mal weiß, ob er einen Nachfolger braucht. Auch Land und Leute murren – über seine Peitschenhiebe, mit denen er das Land umgestaltet, beinahe wie ehedem 1801 Minister Montgelas, der Bayern mit viel Eifer zum größten deutschen Mittelstaat machte.

Mittlerweile ist das größte Bundesland daraus geworden, mit 12.400.000 Einwohnern und Top-Platzierung. Doch die Tiefausläufer der Globalisierung haben inzwischen auch Bayern erreicht. Die Siemens-Tochter Infineon will 2007 ihre „veraltete“ Münchner Chipfabrik dichtmachen und 800 Mitarbeiter entlassen. Die gerade erst höchst-ministerpräsidentiell gepäppelte HypoVereinsbank wurde an Italiener verscherbelt. Die ehemals drittgrößte deutsche Bauunternehmung Walther Bau in Augsburg musste im Februar Insolvenz anmelden. Das Nürnberger AEG-Hausgerätewerk gehört mittlerweile dem schwedischen Konzern „Electrolux“ – gerade wird die Schließung „geprüft“.

Noch sind es Einzelfälle, noch stimmen die Charts – vor allem dank eines Reformsturms, den Stoiber nach der Landtagswahl 2003 im Überschwang der Zweidrittelmehrheit angefacht hatte, unterstützt vom Unternehmensberater Roland Berger und dem neuen Artikel 18 der Bayerischen Haushaltsordnung, der ab 2006 ein Kreditverbot vorschreibt. Umgesetzt hat das Ganze Stoibers Hausmeister Erwin Huber. Der wohl einzige „Staatsminister für Verwaltungsreform“ hat Sätze gesagt wie: „Wenn man einen Sumpf trockenlegen will, darf man nicht die Frösche fragen.“ Unter seiner Regie wurde den Blinden ihr Zuschlag um 15 Prozent gekürzt, den Richtern ihr Oberstes Landesgericht abgeschafft, wurden den Förstern ihre Forstämter genommen und den ehrenamtlichen bayerischen Jugendverbänden 4 Millionen Euro gestrichen.

Und eigentlich wollte der Erwin auch noch den Trachtlern an ihr Gwand – kriegen die doch in Bayern Zuwendungen zum Trachtenkauf. „Des hamma uns aber ned gefallen lassen“, freut sich Walter Weinzierl. „Der Stoiber hat da eingewirkt.“ Und wieder ein wenig soziales Fingerspitzengefühl bewiesen: Erst kürzen lassen vom Sparminister Huber, um dann bei den Meinungsführern doch noch mal generös den Geldbeutel zu zücken. Schließlich sind die Trachtler in Bayern Meinungsführer: 196.000 bodenständige Mitglieder, die in 960 Vereinen zusammenhocken. Alleine in Weinzierls Gau sind 12.800 Mitglieder in 41 Vereinen organisiert, die die bayerische Sprach’ pflegen, in Lederhosen und Dirndl beim Bier sitzen und auch sonst all die schönen Dinge tun, die Bayern zu dem machen, was man außerhalb der Landesgrenzen so sehr am Freistaat schätzt. Gerade bei den Trachtlern kommt zusammen, was in Bayern zusammengehört: Politik und Lebensart. Natürlich ist man in diesen Kreisen politisch aktiv. „Aber nicht parteipolitisch, sondern staatspolitisch“, betont Weinzierl. Die ehemalige Schulministerin Hohlmeier habe man etwa „massiv ang’redt“, als sie den Buben und den Madeln schlechte Noten für das Sprechen mit bayerischer Färbung geben wollte. „Und wir äußern uns auch zur Frage, ob wir diese multikulturelle Gesellschaft werden und dabei das Bodenständige weiter in den Hintergrund gedrängt wird. Das wollen wir natürlich nicht. Das heißt jetzt aber nicht, dass ma ausländerfeindlich sind. Ich mach zum Beispiel gern Urlaub in der Türkei.“ Seit 32 Jahren nun ist Weinzierl bei den Trachtlern organisiert – und übrigens SPD-Wähler.

Ähnlich differenziert ist auch der Blick in die Zukunft des bodenständigen Freistaates. Man überwindet inzwischen kulturelle Gräben, die so tief sind wie der Spruch „Die Bayern und die Schwaben / die schissen in den Graben / und aus dem Gestank / entwickelte sich der Frank“ bös. „Es ist egal, ob der Franke Beckstein oder der Niederbayer Huber Nachfolger werdn vom Stoiber. Die da oben trauen sich doch gar ned an uns ran. Wir lassen uns da ned neiredn.“ Hauptsach, den Mannsbildern ist die Hosn ned zu eng und die Dirndln haben genug Holz vor der Hüttn.

Für Hansi Well ist diese Haltung nicht unbekannt. 90 Auftritte im Jahr macht er mit seinen beiden Brüdern Stofferl und Michael, dieser Tage fliegen die drei – bekannt als Biermösl Blosn – gar von Günzlhofen bei München nach „Los Entschelees“, um dort ihr „Wellcome to Bavaria“ zu spielen. „Im Grunde genommen haben die Leute zur Politik dieselbe Haltung wie zum Fleischskandal: Ist eh schon wurscht.“ Seit 1976 touren die Well-Buam – es gibt übrigens noch zwölf weitere Geschwister – durch die Lande, erstmals staatstragend unbeliebt wurden sie 1979 mit ihrem Gstanzl „Gott mit dir, du BayWa, deutscher Dünger aus Phosphat“, weiter mit der ungebührlichen Renitenz ging es etwa 1986 beim gemeinsamen Konzert mit den Toten Hosen gegen die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf. Doch das perfekte Spiel von Zither, Tuba, Jagdhorn und einem Dutzend weiterer Volksmusik-Instrumente faszinierte stets auch die Schwarzen. „Zu uns kommt auch die CSU zur Beichte“, freut sich Hansi Well. „Das ist eine große Gnade, es ist wohl auch der Nimbus unserer Großfamilie.“

Manchmal weicht der bayerische Humor der Ernsthaftigkeit. Dann sagt der studierte Pädagoge Sätze wie: „Als jemand, der auf der Bühne Honig saugt, bin ich natürlich froh über die Haltung der Leute. Als Staatsbürger nimmt’s mich mit.“ Aber eigentlich, ganz grundeigentlich, macht es auch den Well-Buam viel Spaß in Bayern. In dem Bayern, wie es war, wie es ist und wie es auf ewig sein wird. „Wenn’s gar ned anders geht, muss halt wieder der Beckenbauer ran.“ Als Ministerpräsident. Weil: Ändern würd das auch nichts.