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Archiv-Artikel

„Polens Außenpolitik muss eindeutig werden“

Der Philosophieprofessor Ryszard Legutko von der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ über die deutsch-polnischen Beziehungen, polnische Interessen in der EU und die Frage, ob „starke Staaten“ die besseren Nachbarn sind

taz: Herr Legutko, Ihre Partei möchte mit der IV. Republik Polen einen „starken Staat“ schaffen. Was heißt das?

Ryszard Legutko: Ein starker Staat ist leistungsstark – ein schwacher ist es nicht. Das Recht wird nicht geachtet, die Kommunikation zwischen den staatlichen Institutionen und Machtebenen funktioniert nicht.

Hat Polen zurzeit einen schwachen Staat?

Ja, leider. Daher rührt ja auch die große Popularität des „starken Staats“. Mit stark ist aber nicht autoritativ gemeint. Auch geht es nicht um besondere Vorrechte des Präsidenten. Wichtiger ist vielmehr die Konzentration und sogar Selbstbeschränkung auf genau definierte Politikfelder.

Welche Nachbarn Polens sind Ihrer Meinung nach „starke Staaten“?

Die meisten Staaten mit einer langen republikanischen Tradition. Mit Sicherheit Frankreich, auch die Schweiz. Diese Länder sind wesentlich stärker als Polen. Auch Deutschland ist ein sehr starker Staat.

Möchte Polen lieber mit starken oder schwachen Staaten zusammenarbeiten? Wie sollen Polens Partner sein?

Mit schwachen Partnern ist die Zusammenarbeit wesentlich schwieriger. Sie sind oft unberechenbar. Das hat oft innere Ursachen. Gewerkschaften oder ideologische Strömungen können Druck auf die Regierung ausüben und deren Politik beeinflussen.

Wenn Polen zurzeit schwach ist, ist es dann außenpolitisch unberechenbar?

Nun, sagen wir – nicht eindeutig genug. Wir haben noch immer nicht genau geklärt, wo wir zwischen den USA und der Europäischen Union stehen. Einerseits sind wir EU-Mitglied, andererseits engagieren wir uns stark aufseiten der USA. Dieses diffuse Situation ist ein Zeichen der polnischen Schwäche.

Haben polnische Politiker deshalb Komplexe, wenn sie mit Vertretern starker Staaten verhandeln?

Nein, Komplexe haben nur Menschen, die innerlich nicht gefestigt sind.

Aber warum sagen dann polnische Politiker immer, dass sie die nationalen Interessen Polens „verteidigen“ müssten. Fühlen sie sich von außen bedroht?

Nein. Aber sie sind ihren Wählern gegenüber verantwortlich und müssen auf internationalem Parkett deren Interessen verteidigen. Das macht das Wesen jeder Außenpolitik aus. Schließlich wird kein sich selbst schätzender Franzose oder Deutscher sagen: „Ich vertrete die Interessen der EU, das französische Interesse interessiert mich nicht.“ Die Formulierung nationaler Interessen macht die Politik eines Staates berechenbar. So ist beispielsweise die Ostsee-Gas-Pipeline zwischen Russland und Deutschland nicht im Interesse Polens. Wir werden uns nicht um des lieben Friedens willen in der EU mit der Pipeline abfinden. Hier müssen wir das Interesse Polens verteidigen.

Gibt es Situationen, in denen Polen seine Interessen einfach nur vertritt – oder muss es sie immer gleich verteidigen?

Das sind linguistische Feinheiten, die keine größere Rolle spielen. Wir fühlen uns nicht von aller Welt bedroht, wenn Sie das meinen.

Will die Regierung Polens den „starken Staat“ durch eine neue Verfassung erreichen?

Das ist eine hypothetische Frage. Denn bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen im Parlament ist eine neue Verfassung kaum durchzusetzen. Das wäre aber wünschenswert. Die derzeitige Verfassung ist zu lang und regelt zu viele Einzelheiten. Dadurch aber schwächt sie den Staat eher als dass sie in stärken würde.

Ziel bleibt aber doch die Errichtung der IV. Republik Polens, oder nicht?

Sicher, aber sie ist zurzeit nicht durchzusetzen. Also müssen wir uns auf einen langen Weg mit vielen Einzeländerungen machen.

Wenn Polen schon heute ein „starker Staat“ wäre, wie würde es seine Interessen gegenüber Deutschland vertreten?

Wir werden niemals einverstanden sein mit dem „Zentrum gegen Vertreibungen“.

Aber was können polnische Politiker dagegen tun, wenn sich eine Vertriebenenorganisation in Deutschland ein Museum bauen will?

Wir können darauf drängen, dass die deutsche Regierung dieses Partikularinteresse nicht legitimiert, ihm also zumindest die finanzielle Unterstützung versagt. Wenn die Vertriebenen ihr Museum privat bauen, können wir das nicht verbieten. Aber ein Privat-Museum würde uns auch nicht mehr so interessieren. Das läge unterhalb der politischen Ebene. Uns interessiert nur die Haltung der deutschen Regierung dazu. Etwas ganz anderes ist die Ostsee-Pipeline. Dies ist ein wirklich schwerwiegendes Problem für Polen. Hier geht es in erster Linie um russische Interessen. Wir suchen nun innerhalb der EU Verbündete gegen das Projekt.

INTERVIEW: GABRIELE LESSER