Achse der Elektronik von Tim Caspar Boehme
Tiefenschärfe

Sebastian Meissner mag Filme. Diese Leidenschaft lebt der Produzent mit den vielen Pseudonymen (unter anderem Autokontrast, Open Source, Random Industries) am hemmungslosesten unter dem Namen Klimek aus. Auf seinem aktuellen Album „Movies is Magic“ wird die Vorliebe zum Programm. Klimeks Musik klingt wie der Soundtrack zu Filmen, deren Bilder im eigenen Kopf entstehen. Mit den sparsamen Mitteln des Ambient – fragil-luftige Strukturen auf Loop-Basis – legt er Streicher-, Bläser- und Umweltklänge übereinander, um dramatische Geschichten zu erzählen, die unheimlich, sehnsuchtsvoll oder bedrohlich wirken.

Dass man von seiner Musik trotz aller Reduziertheit und mantrahaften Wiederholungen nicht kaltgelassen wird, hat viel mit der Tiefe zu tun, die sich in Klimeks Stücken auftut. Wie in einer komponierten Bildeinstellung sind die verschiedenen Elemente sorgsam im Raum verteilt: ein paar Instrumente im Vordergrund, andere agieren weiter entfernt, und ganz hinten bewegt sich auch etwas, das man gerade soeben bemerkt. Wo es das Drehbuch verlangt, kommen vereinzelt Beats und Stimmen zum Einsatz. „Movies is Magic“ ist die zweite Klimek-Platte, die beim New Yorker Label Anticipate erscheint, auf dem unter anderem auch Firmenchef Ezekiel Honig eigene großartige Ambient-Musik veröffentlicht. Kino geht auch ohne Augen.

■ Klimek: „Movies is Magic“ (Anticipate)

Weitwinkel

Afrika ist für viele kein Kontinent, sondern eine Chiffre für Sehnsüchte und Fantasien aller Art. Auch der Düsseldorfer Musiker Stefan Schneider hat ein solches imaginäres Afrika für sich entdeckt. Mit seinem Projekt Mapstation erschafft sich der Bassist seinen eigenen Kontinent, geht auf Erkundungsreise in unbekanntes Terrain und lässt dabei Projektionen und Ethno-Klischees weit hinter sich zurück.

Auf „The Africa Chamber“ öffnet sich Schneider für verschiedenste Einflüsse, ohne beliebig zu klingen. Zurückgenommene Elektronik, ruhig fließende Klänge und eine kaum enden wollende Weite bilden die Klammer für sein neues Album, an dem er drei Jahre gearbeitet hat.

Auch diesmal haben Musiker ausgeholfen, der frühere Fela-Kuti-Perkussionist Nicholas Addo-Nettey ist der einzige Afrikaner unter ihnen. Doch selbst seine Trommelklänge haben erfreulicherweise nicht das Geringste mit Weltmusik-Kitsch zu tun, im Gegenteil, sie verstärken den ruhigen Puls von Schneiders behutsam zusammengestellter Palette.

Das gilt auch für Posaunistin Annie Whitehead und den früheren Kreidler-Kollegen Thomas Klein am Schlagzeug. Und gelegentlich erinnert Schneider mit Synthesizer-Arpeggien und Drumcomputer daran, dass dies bei aller organischen Gelassenheit immer noch elektronische Musik ist.

■ Mapstation: „The Africa Chamber“ (Scape)

Graufilter

Peter Kersten alias Lawrence ist eine der Lichtgestalten der deutschen House-Szene mit internationaler Strahlkraft. Ironischerweise wurde er mit Alben bekannt, auf denen man mehr Melancholie als Club-Euphorie spürt und deren grüblerischer Elektronik-Entwurf keinesfalls so bonbonbunt daherkommt wie im Deep House sonst oft üblich.

Peter Kersten malt vorzugsweise in verwaschenen Farben, bei denen Grautöne die Szenerie bestimmen. Um das Klischee komplett zu machen: Bei einem Produzenten aus dem verregnet-diskreten Hamburg bietet sich das nun ja auch an. Das neue Album „Until Then, Goodbye“ macht da keine Ausnahme, Titel wie „Grey Light“ geben trefflich Auskunft.

Was sich in den vergangenen fünf Jahren seit dem letzten Lawrence-Album geändert hat, ist die Architektur seiner Stücke. Kersten malt kaum noch geradlinige Beats unter seine Stimmungsbilder, stattdessen nimmt er bevorzugt Instrumente wie Vibrafon hinzu oder legt das Schlagwerk gleich ganz beiseite. Stärker als früher erinnert seine Musik an Jazz und Ambient, House wird nur gelegentlich als Idiom bemüht, und selbst da ist der Club ziemlich fern oder aber in die allerspäteste Afterhour gerückt.

Wenn dieses Album etwas zu wünschen übrig lässt, dann dies: Mit dem Nachfolger soll es bitte nicht wieder so lange dauern.

■ Lawrence: „Until Then, Goodbye“ (Mule Electronic)