BARBARA DRIBBUSCH über GERÜCHTE : Getrampel aus dem Fernsehzimmer
Während ihre Kinder auf RTL „Super Nanny“ gucken, reden Britt und ich über Psychotricks zur Ego-Aufmöbelung
Meine Freundin Britt und ich sprechen eher selten über Erziehungsprobleme. Auch an jenem Abend in Britts Küche nicht. Unsere beiden Elfjährigen, David und Johannes, lagern friedlich nebenan im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Britt hat mir ein neues Selbsthilfebuch auf den Küchentisch gelegt. „Klopfen Sie sich frei!“ ist der Titel, darin wird aufgezeigt, wie man sich durch Beklopfen von irgendwelchen Meridianpunkten am Körper von Ängsten befreien und mehr Selbstbewusstsein gewinnen kann. „Zum Beispiel die Thymusdrüse“, sagt Britt, „da sitzt das Selbstvertrauen, so knapp unter der Halsgrube.“ Britt immer mit ihren Psychothemen.
Aus dem Wohnzimmer ertönt Kindergebrüll. „Jetzt ist es Zeit zum Ins-Bett-Gehen“, erklingt eine schwache Frauenstimme, „du könntest auf deine Mutter ruhig mal hören.“ Auf das Gebrüll folgt Getrampel. Ich gehe neugierig nach drüben. „Die Super Nanny“, klärt mich David auf, als er meinen fragenden Blick sieht, „voll krass die Sendung. Voll Bombe.“
Johannes hat gar nicht erst aufgeschaut. Auf dem Bildschirm haut ein ungefähr zehnjähriger Junge seine Mutter. „Das darfst du ihm nicht durchgehen lassen“, ertönt eine strenge, weibliche Stimme, „er muss lernen, dass das so nicht geht.“ Eine Frau mit hochgesteckten Haar gibt über einen kleinen Minisender offenbar von einem Nebenraum aus der überforderten Mutter Tipps, wie sie ihren Nachwuchs bändigen könnte. Der Junge spuckt vor Wut. Johannes und David verfolgen still und gebannt das Geschehen.
„Ich find’s ja ziemlich prolo, diese RTL-Sendung“, sagt Britt, als ich wieder in die Küche zurückgekehrt bin, „ist so eine Art szenische Erziehungsberatung mit wirklichen Fällen. Aber immer noch besser, die Jungs gucken das als irgendeinen Horror, wo wieder Leichen zerteilt werden.“ Britt blättert ihr Klopf-Buch auf und zeigt mir die Stelle mit der Thymusdrüse: „Wer auf die Thymusdrüse auf dem Schlüsselbein klopft und sich dabei sagt: Ich liebe, glaube, vertraue, ich bin dankbar und mutig, dem geht es gleich besser.“ Typisch Britt. Immer irgendwie in Selbstheilung begriffen. Dabei sind ihre Kinder eigentlich ganz prima geworden.
Aus dem Fernseher im Wohnzimmer erklingen jetzt mildere Töne. Die Mutter hat ihren Tonfall geändert: „Ich will nicht, dass du mich schlägst. Und ich möchte, dass du jetzt zu Bett gehst!“, deklamiert sie. Das Getrampel hört auf. „Gut so, bleib weiter konsequent“, ertönt erneut die Stimme der Super Nanny. Von Johannes und David ist nichts zu hören. Eine Sendung ohne Horror, Sex oder schwere Schicksalsschläge, die trotzdem die Kinder fasziniert. Eigentlich praktisch.
„Es geht vor allem darum, sich mit seinen Ängsten zu akzeptieren“, fährt Britt fort, offenbar hat sie sich an Fernsehgeräusche aus dem Wohnzimmer längst gewöhnt, „deshalb gehören die Sprüche zum Klopfen dazu.“ Im Buch stehen neben den Fotos einer Frau, die sich auf Gesicht und Körper klopft, die suggestiven Sätze, die man dazu aufsagen muss. Auch zum Thema Erziehungsprobleme gibt es Tipps. „Obwohl ich befürchte, den Kindern kein Vorbild mehr sein zu können, liebe und akzeptiere ich mich so, wie ich bin“ – wer diesen Spruch vor sich hinmurmelt und dabei einen Punkt knapp oberhalb der linken Brust massiert, dem geht es angeblich gleich besser mit dem Nachwuchs.
„Ich glaube ja ein bisschen an Suggestionen“, sagt Britt, „man redet sich so viele negative Sachen ein, und das wirkt, leider. Warum soll es mit den positiven Sachen nicht auch so sein?“ Das ist das Gute an Britt: Sie wird nie unlogisch.
Im Wohnzimmer nebenan ist unterdessen Ruhe eingekehrt. Aus dem Fernseher dringt nur noch Gemurmel. Die Super Nanny hat ihren Auftrag offenbar erfolgreich abgeschlossen. Britt steht auf und geht nach drüben: „Schluss mit der Glotzerei. Johannes, du packst noch deine Schulsachen, wie versprochen, und dann ab ins Bett.“ Ihr Sprössling springt auf. Britt trifft klare Absprachen mit ihren Kindern: „Wer seine Zusagen nicht einhält, darf drei Tage nicht fernsehen.“ Auch nicht die Super Nanny.
Fotohinweis: BARBARA DRIBBUSCH GERÜCHTE Fragen zu Thymusdrüse? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH