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Archiv-Artikel

„Nur wenige sind stabil unglücklich verheiratet“

Psychologin und Psychotherapeutin Kirsten von Sydow über zufriedene Ehepaare, Seniorinnen auf Partnersuche und Sex im Alter

taz: Der Volksmund sagt: „Alte Liebe rostet nicht“. Stimmt das?

Kirsten von Sydow: Natürlich gibt es Rosterscheinungen, auch bei jüngeren Paaren. Die Leidenschaft lässt nach, auch die Sexualität ist weniger intensiv. Das ist einfach so. Aber wenn sich älteren Paaren neu zusammen finden, sind das oft wieder aufgenommene Kontakte zu alten Freunden. Dann kann die alte Liebe, die früher mal bestanden hat, neu aufflammen.

Wie selbstverständlich ist „alte Liebe“ heute überhaupt?

Erotische Liebe ist immer noch ein Tabuthema. Allerdings ist in der Gruppe der über 65-Jährigen auch die Mehrheit der Frauen Single, während die Mehrheit der Männer verheiratet ist. Das hängt mit der Lebenserwartung zusammen, aber auch damit, dass sich in Ehen meist ältere Männer mit jüngeren Frauen zusammen finden. Es wird also für Frauen zunehmend schwieriger, einen neuen Partner zu finden.

Wie zufrieden sind die Älteren mit ihrer Beziehung?

Im Laufe der Zeit nimmt die Zufriedenheit etwas ab. Aber das heißt jetzt nicht, dass sie alle nach 30 Jahren unglücklich sind. Die meisten sind nach wie vor zufrieden mit ihrer Ehe und Partnerschaft. Nur ein kleiner Teil ist stabil unglücklich verheiratet.

Bemühen sich ältere Paare mehr um ihre Beziehung?

Es gibt heute auch im mittleren und höheren Alter eine gesteigerte Trennungsneigung. Das gab es so früher nicht. Bei vielen ist die Angst groß, nach der Verrentung jetzt ganz eng aufeinander hocken zu müssen.

Wenn es kriselt, denken Jüngere oft: Man muss nur eine Therapie machen, einen Ratgeber lesen – und dann wird es wieder. Wie ist das bei Älteren?

Natürlich ist es empfehlenswert, in Krisensituationen Psychotherapie aufzusuchen. Ältere Menschen sind da aber sehr viel zögerlicher, insbesondere Männer.

Wie gehen sie dann mit der Krise um?

Genauso unterschiedlich wie Jüngere. Da ist kein grundsätzlicher Unterschied. Wichtig ist, in sich selbst hineinzuhören, um zu sehen: Was tut mir gut? Gefährlich ist der Anspruch, man müsste die ganze Zeit etwas zusammen machen. Paare, die total aufeinander glucken, sind füreinander meist nicht attraktiv.

Gibt man weniger schnell auf, wenn man schon 30 Jahre verheiratet ist?

Früher gab es kaum Scheidungen im reiferen Alter. Das war eine absolute Rarität. Heute ist das anders. Natürlich verbindet einen diese lange Zeit. Aber dass das eine ganz sichere Sache ist – das ist nicht mehr so.

Wie leben denn ältere Paare ihre Sexualität?

In der Gruppe der über 50-Jährigen ist eher die Frage, ob sie überhaupt noch miteinander schlafen. Das hängt von der Beziehungsqualität ab, aber auch die Gesundheit des Mannes ist sehr wichtig. Viele Männer ziehen sich dann zurück, wenn es nicht mehr so ganz toll klappt. Die Frauen sind auch verunsichert und ziehen sich ebenfalls zurück. Da wird dann nicht mehr geklärt, was noch laufen könnte, und was nicht. Entscheidend ist auch: Hatten die Paare eigentlich in jüngeren Jahren Spaß am Sex?

Gilt Sex noch immer als Vorrecht der Jüngeren?

Die Frauen, die jetzt hochbetagt sind, hatten oft nie die Erwartung, das Sexualität zu tollen Erlebnissen und Gefühlen führen müsste. Die haben dann nicht so ein hohes Anspruchsniveau, wie es Männer und jüngere Frauen oft haben. Interview: Jan Zier