Späte Ruhe

WAS SAGT UNS DAS? Der unter Pinochet ermordete Sänger Víctor Jara wird zum zweiten Mal beigesetzt

Am 18. September 1973 bestattete Joan Turner Jara ihren Mann in aller Stille auf Santiagos Zentralfriedhof. Am Samstag kam die Engländerin mit ihren Töchtern Amanda und Manuela zurück – in Begleitung von Tausenden, die fünf Stunden lang mit dem Sarg Víctor Jaras durch Chiles Hauptstadt gezogen waren. Mit seinen Liedern und vielen roten Fahnen machten sie den Trauermarsch zur bewegendsten Demonstration der letzten Jahre gegen das Grauen der Pinochet-Diktatur (1973–1990).

Zuvor hatten sich die ChilenInnen während einer zweitägigen Totenwache von Jara verabschiedet, darunter auch die Präsidentin. „Wir haben 36 Jahre dafür gebraucht“, sagte Michelle Bachelet, „endlich kann er in Frieden ruhen. Doch es gibt noch viele andere Familien, deswegen müssen wir vorankommen mit Wahrheit und Gerechtigkeit.“

Víctor Jara gehört zu den ganz Großen des lateinamerikanischen politischen Liedes. Das KP-Mitglied unterstützte die Linksregierung von Präsident Salvador Allende, sang in Bergwerken und Fabriken, vor Landarbeitern und Kindern der Elendsviertel. Doch gegen den Widerstand der chilenischen Rechten und die Sabotageakte der CIA hatte der Traum eines demokratischen Sozialismus keine Chance. Am 11. September 1973, dem Tag des Militärputsches, sollte der 40-Jährige in einer Universität für Allende singen. Doch er wurde zusammen mit 600 Studierenden und Uni-Angestellten verhaftet und in das Chile-Stadion gebracht. Tagelang wurde er gefoltert, ein Luftwaffenoffizier zertrat ihm die Hände.

Exrekrut José Paredes, bislang der einzige lebende Angeklagte im neu aufgerollten Mordprozess, berichtete in diesem Jahr, vor der Erschießung Jaras hätten die Soldaten russisches Roulette mit ihm gespielt. Inzwischen hat Paredes widerrufen, doch die Suche nach der Identität des „Verrückten“ und des „Prinzen“, zwei der verantwortlichen Offiziere, geht weiter. Jaras sterbliche Reste wurden im Juni 2009 exhumiert. Nach dem rechtsmedizinischen Gutachten von Ende November wiesen sie über 30 Knochenbrüche durch Schusswunden auf.

Eine Woche vor der ersten Runde der chilenischen Präsidentenwahl am 13. Dezember waren die Feierlichkeiten für Jara ein Politikum. In den Umfragen liegt der Milliardär Sebastián Piñera vorn, viele seiner Verbündeten von der Rechtsaußenpartei UDI waren im Militärregime aktiv. Am Samstag zeigte nur der aussichtslose linke Kandidat Jorge Arrate Flagge. Der junge Exsozialist Marco Enríquez-Ominami will das neue Grab „privat besuchen“. GERHARD DILGER