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Archiv-Artikel

Auf die ganz harte Tour

Trendberuf Taubenvergrämer: Zu Besuch bei einem gnadenlosen Luftrattenbeseitiger

Durch die Stäbe erhält die Taube einen Stromstoß, den sie so schnell nicht vergisst

Die verwilderte „Stadttaube“ ist wohl jedem bekannt und erscheint auf den ersten Blick als eher harmloser Bewohner von Dächern und Giebeln. Doch der Eindruck täuscht: Die possierlichen „Kotzbrocken der Lüfte“ (Günter Grass) sind die Verursacher zahlreicher materieller Schäden und stellen bei massiertem Auftreten ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar.

Hieß es früher mit Georg Kreisler „Geh ma Taubn vergiftn im Park?“, so ist heutzutage eine politisch korrekte Lösung der innerstädtischen Taubenpest möglich: die fachmännisch durchgeführte Taubenvergrämung, mit der die Columba livia gerade in diesen schweren Zeiten der Vogelgrippe mühelos in ihre Schranken zu weisen ist.

Begleiten wir also professionelle Taubenvergrämer bei ihrer mühevollen und oft gefährlichen Arbeit. Stiernackige Kerle rollen da mit ihrem Kleinlaster an, die mit einem ganzen Arsenal an Geheimwaffen der gemeinen Stadttaube ihre Landerechte auf Balkonen, Simsen und Geländern streitig machen wollen. Kevin Forstleben ist unverkennbar der Boss der Brigade, einer, der sein Leben der Taubenvergrämung gewidmet hat. Seine Kollegen nennen den ganzarmtätowierten Krumbacher nur „Professor“. Und der „Professor“ macht seinem Ruf alle Ehre. Ungefragt kommt er auf die Notwendigkeit einer schonungslosen Taubenvergrämung zu sprechen: „Taubenkot verunstaltet nämlich Gebäudefassaden und beschleunigt deren Verwitterung. Auch die Reinigungskosten der Gebäude werden durch die Verschmutzung mit Taubenkot oder Nestmaterial erheblich erhöht.“ Apokalyptische Zustände also.

Doch auch jeder, der schon einmal fast eine Taube mit dem Fahrrad überfahren hätte, weil das blöde Tier nicht in der Lage war wegzufliegen, hat wohl Verständnis für drastische Vergrämungsmaßnahmen.

Früher konnte man ja fast noch so etwas wie Mitleid mit den possierlichen Vögeln haben. Wenn zum Beispiel eine Taube versuchte, ausgerechnet in der Dachrinne ihr Ei auszubrüten. Wie sie bei strömendem Regen verzweifelt über dem Ei kauerte, das ohne ihr Gewicht von den stürzenden Fluten zweifellos fortgespült worden wäre – dieser aussichtslose Kampf gegen die Unbilden der Natur hatte zweifellos etwas Heroisches.

Die bei weitem dramatischste Folge der Taubenplage ist aber die gesundheitliche Gefährdung des Stadtbewohners. „Am Körper der Tauben“, erklärt Forstleben, „in deren Niststätten und Exkrementen finden sich insgesamt etwa 110 verschiedene Krankheitserreger und Parasiten. Als wohl bekanntester Parasit gilt hier die Taubenzecke, deren Verstecke und Entwicklungsherde im Umfeld der Taubennistungen liegen.“ Hier muss der „Professor“ kurz innehalten, weil er mit seinem Luftgewehr eine widerrechtlich auf der Dachrinne sitzende Taube kurz mal „verscheuchen“ will. Als der Vogel mit einem satten Plumps neben ihm aufschlägt, fährt er mit unverhohlenem Ekel fort. „Auf der Suche nach einer Nahrungsquelle wandern diese überwiegend nachtaktiven Blutsauger nicht selten vom Standort der Wirtsvögel ab, gelangen dabei in Wohnräume und stechen den schlafenden Menschen.“ Nur zu verständlich, dass man bei derart vampiresken Visionen zu allerhärtesten Maßnahmen greifen muss.

Hier also setzt die Taubenvergrämung an. Die „fliegenden Mülltonnen“ (Konrad Lorenz) sollen mit allerlei Maßnahmen so griesgrämig gemacht werden, dass sie von alleine Leine ziehen. Was meint unser Spezialist dazu? „Es gibt eine Vielzahl von Taubenvergrämungssystemen“, doziert er. „Die Planung einer Taubenvergrämungsanlage beinhaltet die optimale Einsatzkombination unterschiedlicher Systeme. Hierbei müssen sowohl Beschaffenheit und optische Anforderungen der zu schützenden Bereiche berücksichtigt als auch das Verhalten der Tiere bedacht werden. So unterscheiden wir zwischen Brut- und Schlafplätzen sowie Anflug- und Tagesruheplätzen der Tauben.“ So genau wollten wir es gar nicht wissen, aber erst einmal in Fahrt, ist unser Vergrämungsprofi nicht mehr zu stoppen. „Überall da, wo aufgrund von optischen, denkmalschutzrechtlichen oder baulichen Gegebenheiten keine Vernetzung möglich ist, bietet sich die Montage eines hochwirksamen ABC-Impulssystem an. Hierbei werden auf den Simsen spezielle durchsichtige, matte Plastikhalterungen befestigt. Durch die hierin eingelegten Metallstäbe werden in gleichmäßigen Abständen Hochspannungsstöße ausgesendet.“ Und fügt mit einem diabolischen Grinsen hinzu: „Lässt sich eine Taube auf den Metallstäben nieder, erhält sie einen Stromstoß, den sie so schnell nicht vergisst.“

Was er allerdings zu erwähnen vergisst: Für Wäsche aufhängende Hausfrauen ist die Anlage auch nicht ganz ungefährlich …

RÜDIGER KIND