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Archiv-Artikel

Copacabana in Oststeinbrück

Wenn aus einem U ein V wird und ihnen Menschen mit Cowboyhüten begegnen, handelt es sich um die lustigste Truppe der Volleyball-Bundesliga, den Oststeinbeker SV. Das Team aus Schleswig-Holstein glaubt zu 99 Prozent an den Wiederabstieg, will das Feuer aber längstmöglich flackern lassen

von Christian Görtzen

Der neue Anspruch und die alten Sorgen waren auf den Ausmaßen eines Blattes Papier zueinander arrangiert worden. Neben einem großen Sparschwein, das mit der fast verblichenen Aufschrift „Spenden“ zum Füttern einlud, perlte der Sekt in den Gläsern. Mehr Luxus gab es nicht im VIP-Saloon des Oststeinbeker SV, des Überraschungsaufsteigers in die Volleyball-Bundesliga. Ein direkt am Eingang mit geöffnetem Deckel aufgestellter hüfthoher Abfallbehälter und die mit Gardinen zugezogenen Fenster verliehen dem Raum der Sporthalle Hamburg-Wandsbek den Charme einer Abstellkammer. Bernd Schlesinger, 46 Jahre alter Chefcoach des OSV, und sein Trainerkollege Bernd Werschek (44) vom Spitzenklub Evivo Düren ließen sich davon nicht irritieren. Beide saßen nebeneinander mit dem Rücken an die Wand gelehnt auf einer Massagebank, tranken ihr Bier aus der Flasche, ließen wie zu Kinderzeiten die Beine baumeln und labten sich an der Leichtigkeit des Seins. Werscheck erfreute sich nach dem 0:2-Satzrückstand gegen die „Ostbek Cowboys“ noch eines 3:2-Arbeitssieges. Schlesinger schien noch immer nicht glauben zu können, dass sein Team dem Champions-League-Teilnehmer zwei Sätze abgetrotzt hatte.

Er war nicht der Einzige unter den gut tausend Beobachtern, der staunte. Denn eigentlich hätte alles wie im ersten Heimspiel gegen den Meister VfB Friedrichshafen ablaufen müssen. Ein zwar engagiertes, aber in seinen Mitteln limitiertes Team aus der schleswig-holsteinischen 8.000-Seelen-Gemeinde Oststeinbek, welche im Südosten an Hamburg grenzt, hätte zwar gekämpft bis zur Erschöpfung, wäre aber chancenlos gewesen. Ein 0:3 wäre auch gegen Düren das erwartete Resultat gewesen.

In Oststeinbek aber machen sie seit jeher aus der Not eine Tugend. Ein schmaler Etat von nur 25.000 Euro, Glück sowie eine gehörige Portion Idealismus und Pragmatismus gereichten dem kleinen Verein zum Abenteuer Bundesliga. Dank des freiwilligen Rückzugs des Bundesliga-Siebten Maoam Mendig zur Saison 2005/06 war ein weiterer Platz in der Eliteklasse frei geworden. Oststeinbek reichte der zweite Tabellenplatz in der 2. Bundesliga Nord.

Auf ähnlich zufällige Weise kam die Mannschaft zu ihrem Namen „Ostbek Cowboys“. In den Vereinigten Staaten erwarb OSV-Präsident Jan Schneider einen Cowboy-Hut, auf dem die Buchstaben O.S.U. für „Oklahoma State University“ gestickt waren. Da das „U“ einem „V“ ähnlich sah, erklärten sie es flugs zu einem solchen. Die Abkürzung OSV für Oststeinbeker SV war perfekt, die „Cowboys“ geboren. Zur ihren Heimspielen laufen die Spieler seitdem mit Cowboy-Hüten in die Halle ein.

Mit dem Aufstieg wurde alles anders. Sponsoren mussten gefunden werden, damit der Etat auf knapp 70.000 Euro gesteigert, die Mannschaft verstärkt und die Kosten für die weiten Reisen gedeckt werden konnten. Zudem bedurfte es einer erstligareifen Spielstätte. Nur dank einer Ausnahmegenehmigung der Deutschen Volleyball Liga darf Oststeinbek sechs seiner elf Heimspiele in der 400 Zuschauer fassenden Walter-Ruckert-Halle austragen. Spiele gegen große Gegner finden in Hamburg statt. Gehälter würden weiterhin nicht gezahlt werden, sagt Manager Rüdiger Barth. Erstmals erhielten die Spieler aber eine Fahrtkostenerstattung von 150 Euro im Monat.

„Der Aufstieg hatte Charme und war Problem zugleich“, sagt Barth. Ziel der Vereinsführung ist es, stetig professioneller zu werden, dabei aber nicht das Ursprüngliche zu verlieren. „Die Stimmung bei uns ist klasse, das ist Copacabana. Das soll so bleiben. Wir wollen nicht die Stecknadel fallen hören. Wer uns bierernst nimmt, hat uns nicht verstanden“, sagt Barth.

Genießen wollen sie den Ausflug in die Bundesliga. Wenn dabei Überraschungen wie der 3:2-Sieg am ersten Spieltag in Rüsselsheim herausspringen, umso besser. „Zu 99 Prozent“ rechnet Schlesinger mit dem Abstieg. „Diese Saison ist ein Charaktertest. Derzeit haben alle meine Spieler noch die große Klappe, aber es ist auch für mich spannend zu sehen, wie das nach einigen Klatschen aussieht. Ich habe immer noch mehr Feuer als meine Spieler“, sagt er. Im Spiel gegen Düren waren Wille und Engagement bundesligareif. In Sachen Schnelligkeit, Dynamik und Präzision laufen die Cowboys aber den anderen Teams der Liga noch hinterher.

Der Verein wird derweil zum Grenzgänger zwischen Schleswig-Holstein und Hamburg. „Für den Bäcker aus Oststeinbek sind wir zu groß geworden, für die Hamburger Wirtschaft sind wir noch zu klein. Die Unternehmen stecken lieber das Zehnfache in Retortenklubs wie die Hamburg Freezers oder den HSV Hamburg. Wir haben noch nicht diese Strahlkraft“ sagt Barth. Das Fundament zu einem imposanten Bau sei aber gegossen. „Es stehen sogar schon die ersten Wände, und im Kamin brennt das Feuer.“