: Aus Kann- werden Muss-Kinder
SOZIALES Erstmals müssen Zweieinhalbjährige in den Kindergarten. Die Behörde will damit U3-Plätze schaffen. Doch die Kitas nehmen bevorzugt Drei-Sechs-Jährige
BERND SCHNEIDER, Sprecher der Sozialsenatorin
von Eiken Bruhn
Für Verunsicherung sorgt eine neue Richtlinie, nach der nicht mehr nur Drei-, sondern bereits Zweieinhalbjährige aus der Kleinkind-Betreuung in den Kindergarten wechseln müssen. Vielen Eltern ist dies erst jetzt bewusst geworden – die Anmeldephase für das im August beginnende Kindergartenjahr läuft bis Ende Januar. Eltern des Vereins Stadtwichtel hatten sich in einem Brief an Sozialsenatorin Anja Stahmann schon im Oktober darüber beschwert, dass sie den Kindern „eine emotionale Überforderung“ zumute, weil es im Kindergarten mehr Gruppen gibt und diese mit 20 Kindern mehr als doppelt so groß sind.
Doch Stahmann hält an der Planung fest. Schließlich sollen auf diesem Weg 1.700 der dringend benötigten Plätze in der Kleinkind-Betreuung entstehen. Der Hintergrund: Bremen muss wie alle Bundesländer ab diesem Jahr für mindestens 35 Prozent der unter Dreijährigen Betreuungsplätze vorhalten. Durch Stahmanns Planung verschiebe sich die Betreuungsnot lediglich auf die Kindergarten-Ebene, schrieben die wütenden Eltern im Herbst.
Wie Recht sie damit hatten, zeigt sich in der derzeitigen Anmeldephase, in der sich Eltern bis zum 25. Januar Kindergärten anschauen. Dort erfahren sie oft, dass sie mit ihren unter Dreijährigen nicht willkommen sind, da diese einen wesentlich höheren Betreuungsaufwand verursachen. „Wenn ich die Wahl habe, dann nehme ich das ältere Kind“, sagt als eine von vielen die Leiterin einer kirchlichen Einrichtung.
Erlaubt sei das nicht, sagt Bernd Schneider, Stahmanns Sprecher. Eltern, die ihre Kinder noch ein Jahr in der Kinderkrippe lassen möchten, rät er, eine Ausnahmeregelung zu beantragen.
Beim Amt für Soziale Dienste wissen offenbar nicht alle von dieser Möglichkeit. „Das geht nicht“, alle sogenannten Dritt- und Quartalskinder müssten in den Kindergarten, hörte etwa Susanne Ferder*, als sie vergangene Woche mit der Behörde telefonierte. Bis Dezember war die berufstätige Frau davon ausgegangen, dass ihr Ende September 2010 geborener Sohn Tom in seiner Kindergruppe im Viertel bleiben kann. Diese Gruppe mit neun Kindern, die von zwei Erzieherinnen betreut werden, wird von einem privaten Elternverein betrieben. Tom besucht sie erst seit vergangenem August. Seine Eltern waren froh, dass er sich überhaupt dort eingewöhnt hatte, nachdem sie zuvor schon einmal einen Versuch hatten abbrechen müssen.
Dass Tom eine schwere Zeit hinter sich hat, nach einem Umzug über anderthalb Jahre kaum aß und schlief, und offensichtlich auf Veränderungen extrem reagiert, war für die Behörde nicht Begründung genug, ihn in seiner gewohnten Umgebung zu lassen. Erst als Susanne Ferder erwähnte, dass sie überlege, wieder zurück nach Hamburg zu ziehen und Tom sich unter Umständen innerhalb weniger Monate zweimal an eine neue Gruppe gewöhnen müsste, hieß es, er könne eventuell bleiben. Allerdings würde der Elternverein nur bis Ende März von der Stadt den Zuschuss in derselben Höhe für seine Betreuungskosten bekommen, so steht es in der Richtlinie: „Mit Vollendung des 42. Lebensmonats eines Kindes endet die Zuwendungsfähigkeit bei Belegung eines Platzes in einer Kleinkindgruppe.“
„Das kann für die Vereine zum Problem werden“, räumt Bernd Schneider ein. Aber: Für eine Übergangszeit soll die Förderung über die 42 Monate hinaus bis zum Ende des Kindergartenjahres laufen. Ab jetzt sollen aber keine Kinder mehr neu in eine Krippe aufgenommen werden, die 31 Monate und älter sind.
* Name geändert