: Blut, Schweiß und Tränen
Vier Wochen vor dem Sat.1-Event „Die Luftbrücke“ zeigt das ZDF eilig eine Rosinenbomber-Doku (20.15 Uhr)
Eigentlich ist das Melodram erst am 27. November dran. Das große Gefühlsfernsehen zur Berlinblockade, der ersten großen Kollision während des so genannten Kalten Krieges. Dann gibt Heino Ferch den tapferen „Rosinenbomber“-Piloten. Und Bettina Zimmermann das deutsche Trümmerfräuleinwunder. Nebenbei siegt auf Sat.1 auch noch die Liebe, Geschichte und Geschichten werden zu mächtigem Gefühlsfernsehen verrührt.
Weil sich „Die Luftbrücke“ also anschickt, eines der wichtigsten Ereignisse des Fernsehjahres zu werden, hat das ZDF noch schnell eine gleichnamige Dokumentation zusammengeflickt. Die ist – so viel sei vorweggenommen – kaum weniger melodramatisch geraten, als das von einem Sat.1-Event-Movie zu erwarten wäre. Schon ZDF-Geschichtsprofessor Guido Knopp garantiert: Alles ist nur eine Frage von Blut, Schweiß, Tränen und einer Prise Patriotismus.
Aber es ist ja auch zum Aus-der-Gänsehaut-Fahren, all diese großen, wahrhaftigen Gefühle, die da die Archive preisgeben. Die eindringliche Rede eines Ernst Reuter auf den Stufen des ausgebrannten Reichstagsgebäudes zum Beispiel. „Völker der Welt, schaut auf diese Stadt.“ Hunderttausende waren dort zusammengekommen, vielleicht so viele wie bis zum Abend des Mauerfalls nicht mehr.
Ernst Reuter – kurz nach Beginn der Blockade als erster Bürgermeister der drei Westzonen vereidigt – wird in diesem Kessel der Emotionen zu einer der mythischen Figuren der Luftbrücke. Seine Stadt hat durchgehalten, 322 Tage lang, bei 1.750 Kalorien und fünf Gramm Käse täglich.
Sicher, die Rede vom Kalten Krieg hat es schon vor Guido Knopp gegeben. Und trotzdem: Einmal wird die selbstredend dramatische Lage einer Stadt und ihrer Menschen einzig mit dem Vokabular der Kriegsberichterstattung erzählt. Sei es, weil die Autoren Peter Adler, Alexander Berkel und Stefan Mausbach die Kessel-Metapher fortwährend überstrapazieren. Sei es, weil der Absturz einer amerikanischen DC-3 in einen Tempelhofer Häuserblock einzig als Reprise der gerade vergangenen Bombennächte inszeniert wird.
Nach dem Krieg ist eben immer auch vor dem nächsten Krieg. Und was es mit diesem auf sich hatte, postuliert ein letzter pathetischer Satz: „40 Jahre wird es noch dauern, bis ganz Berlin feiern kann.“
In solchen Momenten ist das ZDF wieder ganz der Rias der Bundesrepublik: ein Sender im amerikanischen Sektor, dessen Geschichte-Onkel keine Zwischentöne dulden. Nur 5.000 Berliner, so verkündet die Dokumentation mit unnötigem Stolz, seien während der Blockade in den offenen Ostteil der Stadt übergesiedelt. Über deren Gefühle allerdings erfährt man nichts. CLEMENS NIEDENTHAL