„Man sollte den Mord an einem Kind nicht für ansonsten berechtigte Kritik am Chaos instrumen-talisieren“

Das bleibt von der Woche Der Senat hält am Kopftuchverbot in Schulen fest, gleich zwei Fliegerbomben werden vor dem Jüdischen Museum entschärft, die Polizei nimmt den Mörder zweier Kinder fest, und Ai Weiwei tritt seine Gastprofessur an

Gegenwart der Vergan-genheit

Fliegerbomben entschärft

Geschlagene acht Stunden brauchte die Polizei für die erste Evakuierung

Selten hat man tazlerInnen so flott und erfreut an die Arbeit gehen sehen wie am Freitag um 14.20 Uhr. Da hat die Polizei die Sperrung wegen einer Bom­ben­ent­schär­fung im nordwestlichen Kreuzberg aufgehoben. Auch die Redaktion war wieder betroffen, wie schon am Sonntag, als ebenfalls eine US-Fliegerbombe aus dem 2. Weltkrieg den Arbeitsalltag lahmlegte.

Aber wie! Geschlagene acht Stunden hatte die Polizei gebraucht, um die 11.500 Anwohner aus dem Sperrgebiet rund um das Jüdische Museum herauszuholen. Viele alte und auch junge Menschen würden dort wohnen, so ein Polizeisprecher, „die nicht mehr so gut zu Fuß“ seien. Offenbar hat sich diese Erkenntnis festgesetzt: Am Freitag dauerte die Evakuierung nur halb so lange. Training hat eben Sinn.

Die beiden 250-Kilo-Bomben sind Relikte der starken Bombardierung Kreuzbergs im Jahr 1945. Was soll man da sagen: Die Vergangenheit ist gegenwärtiger als gedacht? Sie macht uns mehr Arbeit als erwünscht? Interessiert das noch jemanden?

Tatsächlich erregt der Fund eines Blindgängers längst kein Aufsehen mehr. In Potsdam und in Oranienburg sind Entschärfungen fast schon feste Termine im Kalender; auch in Berlin werden mehrere Bomben pro Jahr entdeckt. Dass aber gleich zwei Bomben so kurz hinter- und nebeneinander ausgebuddelt werden, ist selten – und lässt Böses ahnen. Denn gegenüber dem Jüdischen Museum gibt es mehrere Baustellen, auf einer entsteht der taz-Neubau. Es würde nicht überraschen, wenn dort noch mehr Blindgänger liegen. Mal sehen, wie lange die Evakuierung dann dauert. Bert SchulZ Bericht

Die Politik
versteckt
sich

Das Kopftuchverbot bleibt

Lehrkörper bleiben schön weiß in christlich-abendländischer Tradition

Es ist schon eine merkwürdige Situation: Die Vielfalt der Gesellschaft wird in allen Bereichen immer deutlicher sichtbar und auch immer breiter akzeptiert. So gehören Kopftuchträgerinnen – etwa als Ärztinnen, Unternehmerinnen, Anwältinnen oder Fahrlehrerinnen – zum Alltag. Die Hälfte der BerlinerInnen gab kürzlich in einer Umfrage zu verstehen, sie hätte auch mit Lehrerinnen, die Kopftuch tragen, kein Problem.

Die Landespolitik hat das schon: Sie verbietet das Kopftuch in den Schulen weiterhin, ebenso wie die Kippa jüdischer Männer. Der Senat entschied am Dienstag auf Vorschlag von Innensenator Frank Henkel (CDU), das bestehende Neutralitätsgesetz nicht zu verändern, obwohl das Bundesverfassungsgericht eine ähnliche Regelung in Nordrhein-Westfalen vor einem halben Jahr gekippt hatte.

In der Folge bedeutet das: Bevölkerungsgruppen, die im alltäglichen Zusammenleben sichtbar vorhanden sind, werden vom Lehrberuf ausgeschlossen. Lehrkörper bleiben schön weiß in christlich-abendländischer Tradition. Das heißt dann Neutralität und ist gar keine.

Damit ist, trotz aller Bekenntnisse des Senats zu dem Gesetz, niemand so richtig zufrieden, wie sich am Rumeiern der Politiker zeigt. Etwa bei Raed Saleh, SPD-Fraktionschef: Er sagt Ja zum Neutralitätsgesetz – ergänzt aber, dass er sich „mehr Vielfalt im Klassenzimmer“ vorstellen könne. Und sogar der Innensenator antwortet auf die Frage der taz, ob die Beibehaltung des Neutralitätsgesetzes nun gesichert sei, es müsse im Prinzip nur jemand klagen, dann könne eine Gerichtsentscheidung die Lage ändern.

Tja: Wenn die Politik nicht mutig genug ist, Entscheidungen zu treffen, müssen eben die RichterInnen ran. Wie die (mehrheitlich weiß, christlich, abendländisch, neutral) dann entscheiden werden, bleibt abzuwarten. Es wird jedoch Zeit, dass diese Klage endlich kommt. Alke Wierth

Bitte keine voreiligen Schlüsse

Flüchtlingskind ermordet

Das Chaos am Lageso hat es dem Mörder "leichter" gemacht, ein Opfer zu finden.

Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Moabit ist ein gefährlicher Ort. Tausende Menschen bewegen sich täglich völlig unkontrolliert auf dem unübersichtlichen und weitläufigen Gelände. Viele Flüchtlinge warten dort Stunden und Tage, frieren, kollabieren, manche übernachten dort oder davor auf dem Bürgersteig. Es gab Fehlgeburten und Zusammenbrüche, Raubüberfälle und Taschendiebstähle, Schlägereien aller Art. Seit Wochen warnt die Hilfsorganisation „Moabit hilft“, es sei nur eine Frage der Zeit, dass es den ersten Toten am Lageso gibt.

Nun gibt es ihn. Seit Donnerstag wissen wir: Mohamed, ein kleiner Junge, der mit seiner Mutter beim Lageso war und im Gewühl verloren ging, wurde von einem Mann entführt und ermordet. Doch wer nun, wie der Türkische Bund, sagt, wegen der katastrophalen Zustände am Lageso trage der Senat „eine Mitschuld daran, dass dieses grausame Verbrechen begangen werden konnte“, macht es sich zu einfach. Auch ist zwar wahr, „dass es die chaotischen Zustände am Lageso waren, die dem Täter eine Entführung so leicht gemacht haben“, wie es Grünen-Chefin Bettina ­Jarasch formuliert: Aber das heißt nicht, dass der Senat – oder die vielen Flüchtlinge – als „Verursacher“ des Chaos Mitverantwortung für den Tod des Jungen haben. Die hat allein der Mörder.

Natürlich hat es das Chaos am Lageso diesem „leichter“ gemacht, ein Opfer zu finden. Vielleicht ist er sogar deswegen dorthin gefahren – weil er wusste, wie einfach es in dem Chaos sein würde, ein unbeaufsichtigtes Kind zu finden. Aber Mohameds Mörder hat auch gestanden, vor Monaten an einem ganz anderen Ort – in einem ruhigen, vielleicht zu ruhigen Wohnviertel in Potsdam – ein weiteres Opfer gefunden zu haben, den sechsjährigen Elias. Solche Verbrechen können überall geschehen.

Dazu kommt: Es gibt viele „gefährliche“ Orte, wo Tausende Menschen herumwuseln, zu denen Eltern mit ihren Kindern sogar gerne gehen – Kirmes, Weihnachtsmärke, Fanmeilen. Auch hier können Kinder verloren gehen, haben Kindermörder theo­retisch leichtes Spiel, Opfer zu finden.

Warum Mohameds Mutter ihren Sohn nicht mit zu dem Termin genommen, sondern vor dem Haus im Gewimmel hatte warten lassen, wissen wir nicht. Sollte sich herausstellen, dass der Junge auf Anweisung eines Mitarbeiters draußen warten musste, wäre über die Schuldfrage neu zu diskutieren. Aber man sollte nicht vorschnell den Mord an einem Kind für ansonsten berechtigte Kritik am Chaos instrumentalisieren.

Susanne Memarnia

Bericht

Positionen, Pläne? Pustekuchen!

Ai beginnt Gastprofessur

Wird er uns allen jetzt China erklären? Sich für Redefreiheit einsetzen?

Auf dem Parkplatz neben dem Martin-Gropius-Bau steht am Freitag ein silberner BMW. Das Fenster am Beifahrersitz ist ein Stück heruntergekurbelt, auf den Sitzen liegen einige Handvoll Legosteine. „Ai-Weiwei-Lego-Sammelstelle“ steht auf einem Schild neben dem Auto.

Diese Woche hat der chinesische Künstler Ai Weiwei seine Gastprofessur an der Universität der Künste (UdK) angetreten. 16 Studierende aus verschiedenen Fachbereichen werden drei Jahre bei ihm lernen. Was genau? Wir müssen es abwarten.

Berlins Lieblingskünstler aus China ist also angekommen und hat nebenbei die Kunstwelt ein bisschen aufgemischt. Anlass der Legosammel(kunst)aktion ist eine geplante Ausstellung im australischen Melbourne. Dafür hatte Ai bei dem dänischen Spielzeughersteller eine große Menge Bausteine bestellt. Lego wollte aber nicht liefern, da man die bunten Steinchen nicht für politische Zwecke verwendet sehen möchte.

Ai machte die Geschichte auf Instagram öffentlich, Unterstützer fingen an, Legosteine zu sammeln. Sein Büro stellte in mehreren Städten Autos als Sammelstellen auf, unter anderem auch neben jenem Ausstellungshaus, das 2014 Ais bisher größte Werkschau gezeigt hatte.

Die Berliner waren in Sachen Lego zwar noch nicht so spendabel, dafür wurden umso mehr Fragen an den Künstler herangetragen auf einer Pressekonferenz am Montag: Wird er uns allen jetzt China erklären? Sich für Redefreiheit dort einsetzen? Mit seinen Studenten politische Kunst machen?

Ai, der jeden Pups auf Instagram und Twitter veröffentlicht, lies die Fragen an sich abprallen. Positionen, Pläne, Pamphlete? Pustekuchen. Er lässt sich nicht zum neuen Maskottchen machen. Stattdessen spielt er mit Autos, Legosteinen und Erwartungen. Und erklärt, dass das alles irgendwie auch politisch ist, oder mal werden soll. Die Idee, Autos aufzustellen, um irgendwelche Dinge in Ihnen zu sammeln, ist es allemal. So lässt sich Parkraum auch als Stauraum nutzen.

Uta Schleiermacher