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Archiv-Artikel

Mission Europa

Sie gelten als grünes Traumpaar: die Europapolitikerin Franziska Brantner und der Tübinger OB Boris Palmer. Doch darauf lässt sich Brantner nicht reduzieren. Diese Frau geht ihren eigenen Weg

von Katharina Mayer (Text) und Joachim E. Röttgers (Fotos)

Es ist schwierig, mit Franziska Brantner Schritt zu halten, wenn sie durch das Brüsseler Europaparlament hastet, von Sitzung zu Sitzung, von Ausschuss zu Ausschuss. Mit ihrer modischen Reiterhose und dem kurzen Blazer fällt sie auf in dieser Welt der grauen Herren und Damen, der Dreiteiler, Krawattennadeln und Kostüme. Es ist ein atemloses, ein rastloses Leben, das sie in Brüssel führt, in einem Spiegelkabinett aus endlosen Fluren mit tausend Türen. Gäste navigiert die grüne Europaabgeordnete in ihr Büro, noch eine Tür und noch eine. Den großen Vorraum teilen sich die durchweg jungen Mitarbeiter, man duzt sich, lacht, organisiert im Vorbeigehen Termine, Papiere, Sitzungen. Im Büro stehen ein sehr aufgeräumter Schreibtisch und eine schmale blaue Couch, die kuschelig aussieht und so, als würde sie nie benutzt. Auf der Überholspur bleibt keine Zeit für Kuscheligkeiten.

Seit 2009 sitzt Franziska Brantner für die Grünen im Europäischen Parlament, sie ist Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, des Ausschusses für die Rechte der Frau und Gleichstellung der Geschlechter, des Haushaltsausschusses. Und weil ihr Ehemann Boris Palmer heißt und seit 2007 als erster grüner OB in Tübingen regiert, weil es die gemeinsame Tochter Luisa gibt, spielt sich das Leben von Franziska Brantner derzeit zwischen Brüssel und Tübingen, zwischen Job und Familie ab. Und als wäre das nicht genug, strebt die 32-Jährige in diesem Jahr in den Bundestag. Ein solches Leben braucht eine hohe Schlagzahl. Brantner geht schnell, denkt schnell, spricht schnell. Das braucht man, wenn man eine Mission hat.

Brantners Mission heißt Europa. Was das bedeutet? Die junge Mutter erklärt es anhand eines Kinderbuchs von Leo Lionni. Von Swimmy, dem kleinen Fisch, handelt es, der seinen Artgenossen das große weite Meer zeigen will. Die ängstlichen Kollegen lassen sich von diesem Plan erst überzeugen, als Swimmy vorschlägt, die vielen kleinen Fische sollten sich zu einem großen Schwarm zusammenschließen, der es mit den Gefahren der Tiefe aufnehmen kann. „Genau das find ich so schön: dass die im weltweiten Vergleich kleinen Staaten Europas, wenn sie gemeinsam sind, das große Meer entdecken und es mit den großen Fischen aufnehmen können“, sagt sie. Keine Frage, Franziska Brantner will mit den großen Fischen schwimmen.

Ganz so klein wie im putzigen Kinderbuchvergleich sind die Fische im europäischen Schwarm aber nicht: Da schwimmen ehemalige Weltmächte mit und einige der global erfolgreichsten Waffenexporteure. Und Europa als Ganzes ist einer der Global Player unter den Handelsmächten.

Eine Laufbahn wie aus dem Lehrbuch

Wenn diese Politikerin über ihr Leben erzählt, scheint es, als gehörten die beiden schon immer zusammen: Europa und Franziska, Franziska und Europa. Brantner ist in Neuenburg am Rhein aufgewachsen, besuchte das deutsch-französische Gymnasium in Freiburg, zwei Länder, zwei Sprachen, beide von Kindheit an präsent. Und auch die Politik gehörte schon früh dazu. Das ging schon in der Schule los. Bereits als Elfjährige war Franziska in Gruppen zu finden, die die Welt verbessern wollten, der Umwelt-AG etwa. Später im Jugendgemeinderat. Und im selbstverwalteten Jugendzentrum.

Mit 15 ging es dann zur Grünen Jugend. Landesvorstand, Bundesvorstand, eine Laufbahn wie aus dem Lehrbuch. Es hätte einfach so weitergehen können, wäre da nicht die große weite Welt gewesen. „Zuhause kennt man ja häufig schon gut genug“, sagt Brantner. „Ich finde es spannend, neue Plätze, neue Leute, neue Kulturen zu entdecken.“ Brantner jobbte nach dem Abitur in den Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv und Washington, studierte Politikwissenschaften in Paris und New York, promovierte in Mannheim über die Reformfähigkeit der Vereinten Nationen und arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei einem Projekt in Oxford.

So landete die Weltenbummlerin 2008 als Beraterin der Frauenrechtsorganisation der Vereinten Nationen in Brüssel, der politischen Hauptstadt eines Europas, das nicht so recht zusammenwachsen will. Brantner will es mitgestalten, dieses Europa der kleinen Fische. „Wenn möglich habe ich immer das gemacht, worauf ich Lust hatte und wovon ich überzeugt war.“ Das sagt sie ebenso selbstbewusst wie selbstverständlich. So sprechen Menschen, deren politische Laufbahn bisher ohne Brüche verlaufen ist. Franziska Brantner wollte mit den Grünen nach Brüssel, an die Schaltstelle eines starken Europas. Auf der grünen Liste ist sie dort 2009 angekommen.

Wie definiert eine solche Macherin eigentlich Macht? „Macht, wie ich sie nicht mag, ist, wenn man so wie Merkel nachts um vier im Hinterzimmer sitzt und Entscheidungen trifft“, sagt Franziska Brantner süffisant – und genau so will sie Macht nicht verstehen. Europa brauche weniger Hinterzimmerpolitik als vielmehr offene Debatten und die Freude am Diskurs zwischen der EU, den nationalen Parlamenten und der Zivilgesellschaft.

Diese Frau streitet gern, das merkt man spätestens, wenn man mit ihr an einem Tisch sitzt. Und sie will überzeugen. Dann rückt sie näher, lässt ihren Gesprächspartner nicht aus den Augen, als wolle sie der Wirkung ihrer Worte hinterherspüren: Du entkommst mir nicht, signalisiert dieser Blick. „Man muss sich für seine politische Überzeugung einsetzen.“ Einsetzen, das heißt für Brantner kämpfen, durchsetzen, beharrlich bleiben. „In Verhandlungen kann ich schon hart sein und mit einem Lächeln sagen: Das gebe ich nicht auf“, sagt Brantner.

Den öffentlichen Paartanz will sie nicht

An diesem Wintertag sitzt die Frau mit dem entwaffnenden Lächeln in einem schicken Tübinger Café und isst Waffeln mit Puderzucker. Hier trifft sich zwischen Glas und Holz, wer das Studium beendet und inzwischen einen gut bezahlten Job hat. Natürlich kann Franziska, die Multitaskerin, mehr als essen und reden. Ein Mitarbeiter aus dem Ludwigshafener Regionalbüro schiebt ihr stapelweise Grußkarten zur Unterschrift hin, das geht so nebenbei. Im Café Ludwigs ist Franziska Brantner im Hoheitsgebiet ihres Ehemannes, des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer. Brantners Mann gilt als grüner Überflieger, als intelligenter Oberrealo, der anders als die Gattin die Kommunalpolitik gewählt hat statt des fernen Europas.

Doch was dieses Paar eint, ist der Wille zur Macht. Das kommt auch in der Partei nicht immer gut an. Vor allem Boris Palmer, der immer mal wieder laut über Schwarz-Grün nachdenkt, bekam das zu spüren. Auf dem Grünen-Parteitag in Hannover flog er im November aus dem Parteirat. Ein Schritt zurück für Palmer, einer hin zu mehr Macht im kleineren Berliner Politikbetrieb für Franziska Brantner bei der anstehenden Wahl. Ein guter neunter Platz auf der Landesliste soll ihr den Einzug in den Bundestag sichern.

Kind versus Karriere, der Vorwurf der Rabenmutter – die Europapolitikerin weiß, dass dies eine sehr deutsche Diskussion ist. Deutschland sei in Sachen Gleichberechtigung im europäischen Vergleich nicht eben an der Spitze. „Weil die Deutschen immer noch an ihrem konservativen Familienbild festhalten, nein, vor allem Frauenbild.“ Und weil viele Politiker, vor allem Männer, gerne ihre Familie vorzeigen.

Das öffentliche Schaulaufen mit Mann und Kind ist nicht ihr Fall. Sie hat sich entschieden, für den Beruf und für ein Kind und damit für den Spagat zwischen zwei Lebenswelten. Das Private aber bleibt außen vor. „Mein Familienleben bleibt meine Sache“, sagt sie und bemüht sich, ihre zweieinhalbjährige Tochter aus den Medien rauszuhalten. „Die kann ja nichts dafür, dass ihre Eltern beide Politiker sind.“ Wie eine Schneekönigin freut sie sich darüber, dass an dieser Brantner'schen Firewall auch Polit-Talker Benjamin von Stuckradt-Barre gescheitert ist. Der ist dafür bekannt, ausgewiesenen Medienprofis Sätze zu entlocken, die sie so nicht sagen wollten. Also ging es in der Sendung vom 6. Dezember mit Franziska Brantner (Tele5) eben um die Frage von intelligentem Leben auf dem CDU-Parteitag und das Sexualleben der Kanzlerin. Letzterer attestierte Brantner immerhin ein mutmaßlich lebendigeres Liebesleben als Peer Steinbrück. Über ihr eigenes Liebesleben hat Brantner geschwiegen.

„Wir müssen uns trauen, andere Fragen zu stellen“

Brantner und Palmer, ein grünes Traumpaar, auf der gemeinsamen Karriereleiter nach oben? Nein. Das Brantner'sche „Wir“ gilt zwar im familiären, nicht aber im politischen Sinne. Von einer Polit- und Familienzusammenführung in Berlin will Franziska Brantner nichts wissen, auch wenn in Tübingen gerne mal gemunkelt wird, das umtriebige Stadtoberhaupt Palmer ziehe es eh nur noch in die Hauptstadt. „Wir behandeln unterschiedliche Themen, haben teilweise auch unterschiedliche Positionen und einen anderen Stil. Wir machen nicht gemeinsam Politik“, sagt Franziska Brantner leise, aber bestimmt. Palmer sei Experte für Energiepolitik, sie mache Außenpolitik. Diese Frau will nicht im Doppelpack wahrgenommen werden.

Vom grünen Politpaar tritt also nur Franziska Brantner zur Bundestagswahl an, für die Heidelberger Grünen und als Nachfolgerin des nunmehrigen Stuttgarter Oberbürgermeisters Fritz Kuhn. Für die überzeugte Europäerin ist der geplante Sprung vom Europaparlament in den Bundestag stimmig, denn in Berlin brauche es mehr überzeugte Europäer. „Wir Deutschen müssen uns trauen, andere Fragen zu stellen“, sagt sie. Griechenland zum Beispiel. „Wir dürfen nicht nur fragen, welche Kosten auf die Bundesrepublik zukommen, sondern vielmehr: Was hilft es den Griechen?“

Auf der Landesliste ist sie nun auf Platz neun, das dürfte reichen, wenn die Grünen im Herbst ein ähnliches Ergebnis einfahren wie bei der letzten Bundestagswahl. Und falls es nicht reicht? Schulterzucken: „Irgendwas wird mir schon einfallen.“ Doch Franziska Brantner ist keine, die sich mit dem Scheitern beschäftigt: Sie will „nach einem guten Bundestagswahlkampf den Europadiskurs in der Bundesrepublik drehen“. Europa dürfe nicht für Einzelinteressen stehen, „Europa geht uns alle an“, sagt Branter, das sei ihr Motto für das Jahr 2013. Die Frau hat noch viel vor.