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Archiv-Artikel

Hippy im Wohnzimmer

„Integration durch Integrierte“: Ein niedrigschwelliges Lern- und Förderprojekt will Vorschulkinder und ihre Eltern in der deutschen Sprache fit machen. Programm in Hamburg wird ausgeweitet

von Christine Jähn

Kopfschütteln allein reicht nicht. „Sind Huhn und Hut zwei gleiche Gegenstände?“, fragt Nesrin Kuchenbecker. „Das sind verschiedene Gegenstände“, formuliert Rahșan Șengül sorgfältig einen vollständigen deutschen Satz. Nesrin Kuchenbecker nickt und zeigt zur Verdeutlichung ein Bild, auf dem ein Huhn und ein Hut abgebildet sind. Am Nachmittag wird Rahșan Șengül mit ihrer fünfjährigen Tochter Melda dieselbe Hörübung machen. „Mama und ich spielen in Deutsch“, nennt Melda das stolz. Bis zu ihrer Einschulung im nächsten Jahr wird sie mit ihrer Mutter jeden Tag solche Aufgaben lösen.

Alle zwei Wochen kommt Nesrin Kuchenbecker für eine Stunde in die Wohnung der Șengüls in Wandsbek. Hausbesuche sind Programm bei Hippy (Home Instructions for Parents of Preschool Youngsters), einer auf zwei Jahre angelegten Lern- und Sprachförderung für Vier- bis Fünfjährige und ihre Eltern. Im Gepäck hat Kuchenbecker Spiel- und Bastelanleitungen, Lesebücher und Aufgabenblätter.

Obwohl das Hippy-Material bei der Schulvorbereitung aller Kinder helfen kann, wird der Hausunterricht in Hamburg primär in Migrantenfamilien eingesetzt. „Ich habe vorher lieber türkisch mit meinen beiden Kindern geredet“, erzählt die gebürtige Türkin Șengül, „weil ich Angst hatte, sie falsches Deutsch zu lehren.“ Jetzt kann die 30-Jährige die richtigen Sätze aus einem Arbeitsheft ablesen – und lernt dabei auch selbst Deutsch.

Weil Hippy nicht nur das Kind unterstützt, sondern auch die Familie einbezieht, ist das Projekt für den Ortsamtsleiter von Billstedt, Günther Schiedek, ein „wesentlicher Baustein in der Stadtentwicklung von Billstedt“. Seit etwa einem Jahr nehmen jeweils zehn Familien türkischer Herkunft aus Wandsbek und Billstedt an dem Programm teil.

„Hippy erreicht diese Familien, weil es sehr niedrigschwellig ist“, lobt Schiedek. Die Hausbesucherinnen wie Nesrin Kuchenbecker sind ebenfalls Zuwanderinnen, sie sprechen die Herkunftssprache der Familie und kennen deren Kultur. Diese „Integration durch Integrierte“ ist für Schiedek entscheidend dafür, dass die Erfolge für die Familie auch nachhaltig bleiben.

„Die Eltern sind die wesentlichen Vorbilder der Kinder“, betont auch Nilgün Timuroglu. Die Integrationsberaterin der Arbeiterwohlfahrt (AWO) hat das Hippy-Projekt in Hamburg initiiert und ist zuständig für die Schulung der semiprofessionellen Betreuerinnen. „Im Idealfall“, so wünscht sie sich, „sollten die Hausbesucherinnen zuvor selbst mit ihrem Kind an Hippy teilgenommen haben.“ Vor kurzem hat Timuroglu von der Stadt grünes Licht für eine Ausweitung des Programms erhalten: Ab 1. Januar wird es auch eine russische, eine persisch-afghanische und eine ghanaische Gruppe geben.

Um Teilnehmerinnen für die Kurse zu finden, besucht Timuroglu Kindertagesstätten oder hört sich in Kinderarztpraxen um. Für die Gruppen mit türkischen Zuwanderern ist dies allerdings nicht mehr nötig: „Hier“, sagt Timuroglu, „haben wir bereits eine Warteliste. Das Angebot spricht sich rum.“

Für die engagierte Hippy-Befürworterin ist das freiwillige Programm eine sinnvolle Ergänzung zu Maßnahmen, die unter anderem die rund 300 Hamburger Kitas, in denen mehr als 25 Prozent der Kinder aus Zuwandererfamilien kommen, anbieten. Die Stadt finanziert diese nach Angaben der Sozialbehörde mit 2,1 Millionen Euro. 48 Familien nehmen zudem an einer Sprachförderung der Vereinigung Hamburger Kitas für unter Dreijährige teil.

Die Hausbesucherinnen wollen mehr erreichen: „Bildungsfern“ nennt Timuroglu Familien, in denen die Eltern kaum die Schule besucht haben: „Es gibt Wohnungen, da gab es vor Hippy kein einziges Buch.“ Für ein Billstedter Kind, dessen Eltern kaum lesen können, hat die AWO-Beraterin Lesebücher aus dem Programm auf CD gesprochen. „So können die Kinder abends die Geschichten hören und ihre Sprachkompetenz wird verbessert“, sagt Timuroglu. „Nur wenn Eltern Analphabeten sind, stoßen wir an unsere Grenzen.“