: Prima Klima
Als Baustoff ist Lehm weit verbreitet: Rund ein Drittel der Weltbevölkerung lebt in Lehmhäusern. Inzwischen wird sein hervorragender Einfluss aufs Raumklima auch hierzulande genutzt
VON LARS KLAASSEN
„Er atmet!“ Für den Architekten und Baubiologen Georg Müller ist das eine der großen Stärken des Lehms. „Weil der Baustoff Wasser aufnehmen und wieder abgeben kann, schafft er ein gesundes Raumklima.“ Dazu kommt noch seine Fähigkeit, sehr viel Wärme speichern zu können. Im Winter sind Lehmhäuser warm und im Sommer kühl. „Er ist mit seiner jahrtausendealten Geschichte nicht nur einer der ältesten Baustoffe“, betont Müller, „sondern auch einer der besten.“ Dass man vom Lehm nicht mehr so schnell loskommt, hat ihm seinen Namen eingebracht: Das Wort ist von „Leim“ abgeleitet, weil er dauerhaft klebt.
Lehm spielt bislang hierzuLande zwar nur eine Nebenrolle am Bau, doch global betrachtet ist er auch quantitativ stark: „Rund eine Drittel der Weltbevölkerung lebt in Lehmbauten“, sagt Dunja Karcher, Architektin und Dozentin an der Fachhochschule München. Unter ihrer Leitung planten Studierende der FH im Mai eine Außenstelle des ägyptischen Goethe-Instituts Kairo in Assuan – in Lehmbauweise. Die Auseinandersetzung mit den außergewöhnlichen Eigenschaften des dort heimischen, traditionellen Baumaterials wurde bewusst gesucht. Das Ziel: traditionelles Material mit einer anspruchsvollen, modernen und zeitgemäßen Architektur zu verbinden. 1.800 Lehmziegel formten die Studenten, gemeinsam mit dem Lehmbauer Roderich Seefried aus Wald-Rothenlachen. Musterwände zeigten die vielfältige Nutzung des Baumaterials auf, das lange Zeit auch in Europa verwendet wurde. „Wer den Urbaustoff Lehm nur traditionell begreift, verkennt, dass diese Bautechnik lebendiger ist als je zuvor“, betont Karcher.
Lehmbaustoffe können in vielen Teilen eines Gebäudes zum Einsatz kommen. Der Begriff „Lehmhaus“ beschreibt eine Reihe unterschiedlicher Bauweisen. Beim Bau von Fußböden etwa kommt Stampflehm zur Anwendung. Das geschieht vor allem bei Sanierungen und in der Denkmalpflege, etwa bei historischen Scheunen, aber auch für gärtnerisch genutzte Gebäude und Vorratskeller. Fußböden aus Lehm sind wasserdampfdurchlässig, eine besonders in Vorrats- und Weinkellern sehr geschätzte Eigenschaft.
Für den Bau von tragenden Wänden verwendet man in der Regel entweder Stampflehm oder Lehmsteine. Eine Stampflehmwand ist, verglichen mit Massivwänden aus anderen Baustoffen, verhältnismäßig teuer. Sie wird daher häufig nicht aus funktionalen, sondern eher aus ästhetischen Gründen geplant und eingesetzt. Lehmsteine werden meist mit Lehmmörtel, möglichst nicht mit Zement- oder Kalkzementmörtel vermauert. Zum Mauern verwendeter Lehmmörtel ist ein Gemisch aus Baulehm und Sand, das auch organische Stoffe enthalten kann. Das Vermauern unterscheidet sich nicht von dem mit gebrannten Ziegeln. Die Steine werden heute vorwiegend für den Bau von Innenwänden – tragend und nicht tragend – benutzt. Auch im Außenwandbereich können sie sowohl in tragenden als auch nicht tragenden Wände verarbeitet werden. Eine besondere Anwendung bietet sich als Sichtmauerwerk an.
Für den Bau von nicht tragenden Wänden werden Lehmsteine und Grünlinge, Lehmplatten und Lehmtrockenbauplatten sowie Leichtlehm im feuchten Einbau verwendet. In einer nicht tragenden Wand übernimmt ein separates Tragskelett aus anderen Baustoffen die Aufgabe, Lasten aufzunehmen. Dies kann eine Holzständerkonstruktion sein, die im Neubau mit Lehmbaustoffen kombiniert wird, wie es auch im traditionellen Fachwerkbau üblich ist. Werden Innenwände mit Lehmbaustoffen hoher Rohdichte ausgeführt, haben sie eine zusätzliche positive Eigenschaft: Sie sind wärmespeichernd und dämpfen damit Temperaturschwankungen im Innenraum. Im Deckenbereich können Lehmbaustoffe in oder auf einer Holzbalkenkonstruktion verwendet werden: als Füllungen oder Auflagen.
Auch im Trockenbau wird das Material verwendet: Lehmplatten unterscheiden sich von Lehmsteinen in der Formatgröße und -dicke sowie in der Herstellungstechnik. Dicke Platten werden in Mörtel verlegt oder geklebt. Sie können selbsttragend im Innenwandbereich verwendet werden und benötigen keine Unterkonstruktion. Dünne Platten werden dagegen für den Bau nicht tragender Innenwände verwendet und benötigen eine Unterkonstruktion als Befestigungsskelett. Diese kann sowohl aus Holz- als auch aus Metallständern bestehen. Sie erhält als Bewehrung organische Faserstoffe wie Schilfrohrmatten, damit sie ausreichend stabil, transportfähig und verarbeitbar sind.
Im Innenbereich und an schlagregengeschützten Außenwänden kann Lehm auch zum Verputzen von Wänden und Decken verwendet werden. Lehmputze sind für alle gängigen Untergründe geeignet. Die erwünschte, raumklimatische Wirkung wird bei Putzstärken von mindestens 1,5 cm erreicht. Lehmputze trägt man bevorzugt zweilagig auf. Die Bearbeitung der Putzoberfläche ist bei einem zweilagigen Putzaufbau einfacher als bei einem einlagigen. Doch der Architekt Werner Theuerkorn aus Wichtleiten bei Pfarrkirchen hat sich die Verwendung von Rohrkolben als Faserverstärkungsmittel für Lehmputze patentieren lassen: „Im Gegensatz zu herkömmlichem Lehmputz schwindet der faserverstärkte nur so wenig, dass ein einmaliger Auftrag ausreicht.“
Fortschritt wird nicht nur im technischen Detail verzeichnet. Lehmexperte Roderich Seefried, der auch als Referent bei der Weiterbildung zur Fachkraft für Lehmbau tätig ist, betont: „Ein entscheidender weiterer Schritt zur Akzeptanz des Lehmbaus auf dem professionellen Bausektor war die Anerkennung der vom Dachverband der Branche angebotenen Weiterbildung durch die Deutsche Handwerkskammer.“ Damit wurde sie anderen Handwerkerausbildungen gleichgestellt.
Vom 18. bis 19. November 2005 findet die 6. Internationale Messe Lehmbau 05 in Berlin statt. Weitere Informationen: www.moderner-lehmbau.de