Kündigungsschutz wackelt

SPD schließt Abfindungsoptionen für Neueingestellte nicht aus. Verwirrung um geplante Unterhaltspflicht für Eltern beim ALG II. Gesetzestext verschieden auslegbar

BERLIN taz ■ Die SPD sperrt sich nicht mehr generell gegen jede Veränderung beim Kündigungsschutz. Für die SPD kommen „substanzielle Änderungen beim Kündigungsschutz nicht in Frage“, sagte zwar der arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Klaus Brandner. Die Einführung einer von der Union geforderten Option, dass sich Neueingestellte statt des Kündigungsschutzes für eine Abfindungsregelung entscheiden können, schloss Brandner jedoch nicht aus.

Allerdings dürfe so eine Abfindungsregelung für die Arbeitgeber nicht widerrufbar sein, erklärte Brandner. Kommt die Option, müssten sich Beschäftigte bei der Einstellung entscheiden, ob sie im Falle einer Entlassung auf den gesetzlichen Kündigungsschutz verzichten und stattdessen lieber eine Abfindung möchten.

Verwirrung herrschte gestern über die bekannt gewordenen Pläne zur Kürzung beim Arbeitslosengeld II. 1,85 Milliarden Euro sollen durch Einsparungen erbracht werden – doch die Kürzungen beruhen auf Annahmen, die mit der Wirklichkeit wenig zu tun haben.

Allein 500 Millionen Euro wollen Union und SPD etwa dadurch einsparen, dass die Eltern junger Erwachsener, die Arbeitslosengeld II beziehen, künftig wieder zu Unterhaltsleistungen für ihren Nachwuchs verpflichtet werden. Diesen so genannten „Unterhaltsrückgriff“ gibt es jedoch bereits. Laut dem Sozialgesetzbuch II sind Eltern von Hilfebedürftigen, die das „25. Lebensjahr noch nicht vollendet und die Erstausbildung noch nicht abgeschlossen“ haben, zum Unterhalt ihrer erwachsenen Sprösslinge verpflichtet.

Jungen Arbeitslosen werden mit Verweis auf das Einkommen der Eltern auch bereits die Regelleistungen gekürzt, berichtete Angelika Klahr von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen in Berlin.

Demgegenüber hatten diverse Medien in den vergangenen Wochen behauptet, junge Erwachsene zögen bei ihren Eltern aus, um dann als Arbeitslosengeld-II-Empfänger das Geld für Miete und Lebensunterhalt zu kassieren. Allerdings gab es keinerlei Beweise für diese angeblich massenhaften Fälle. Die Zahl der Einpersonenhaushalte, die Arbeitslosengeld II bekommen, pendele seit April um die zwei Millionen, erklärte ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit (BA) der taz.

Offenbar verfolgen die Jobcenter den Unterhaltsrückgriff derzeit unterschiedlich. Wie der BA-Sprecher ausführte, könne man den Text zur Unterhaltsverpflichtung im Sozialgesetzbuch II nämlich in zwei Richtungen auslegen. Im ersten Fall werden nur Eltern belangt, deren erwachsene Kinder sich in Ausbildung befinden. Im zweiten Fall jedoch wird auch auf Eltern zurückgegriffen, wenn der Nachwuchs weder Job noch Ausbildung hat und einen Antrag auf Arbeitslosengeld II stellt.

Gegenwärtig sind 330.000 joblose Empfänger von Arbeitslosengeld II im Alter von unter 25 Jahren bei den Jobcentern registriert. Für sie können ohnehin nur Eltern zum Unterhalt herangezogen werden, deren Netto-Einkommen über dem Selbstbehalt von 1.100 Euro (Osten: 1.010 Euro) pro Elternteil liegt.

Union und SPD planen weitere Einsparungen in Höhe von einer Milliarde Euro durch effizientere Vermittlung und die verschärfte Verfolgung von Missbrauch durch Arbeitslosengeld-II-Empfänger. Die Beweislast, dass ein Mann und eine Frau, die in einer Wohnung leben, kein Paar sind, soll künftig bei den Antragsstellern liegen. Diese geplanten Neuerungen „bescheren den Sozialgerichten nur zusätzliche Klagen“, sagte dazu Harald Thomé vom Wuppertaler Selbsthilfeverein „Tacheles“.

BARBARA DRIBBUSCH