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Archiv-Artikel

Der Bär ist noch nicht erlegt

DEBATTE Vertreter der Freien Szene diskutieren mit Politikern über die City Tax – ein gelungener Versuch, aufeinander zuzugehen

„Das Denken müsste sich wandeln“, sagen Vertreter der Koalition Freie Szene

Er ist einer der bekanntesten Möglichmacher der Stadt. Es ist eine große Freude, diesem Jochen Sandig mit all seinem Enthusiasmus zuzusehen. Er war Gründer der Sophiensæle und des Tacheles. In seiner aktuellen Location, dem Radialsystem V, wurde nun unter dem Motto „Wir sind die 95 Prozent“ diskutiert – Sandig natürlich mittendrin. Von einem neuen „Wir-Gefühl“ war da die Rede und davon, dass „wir die sind, mit denen ihr werbt. Dieser Mehrwert sollte mehr wert sein.“

Auf dem Podium im Radialsytem V, um das es geht, sitzen an diesem Montagnachmittag neben Sandig und Christopher Knoch, dem Sprecher der Koalition Freie Szene, Barbara Kisseler (Kultursenatorin Hamburg), André Schmitz (Kulturstaatssekretär Berlin), Burkhard Kieker (Geschäftsführer visit berlin) und Amelie Deufelhard (Intendantin des Kulturzentrums Kampnagel in Hamburg).

Wie schon einmal bei einer ähnlichen Veranstaltung im November im Deutschen Theater will die Freie Szene auf sich und ihre Nöte aufmerksam machen – und dafür werben, dass die City Tax, eine Steuer für Touristen, mindestens zur Hälfte den Kulturakteuren jenseits der Institutionen zugutekommen soll. Die City Tax soll, wenn alles gut geht, spätestens zum nächsten Jahreswechsel eingeführt werden.

Die Koalition Freie Szene fordert seit März 2012 Mindestlöhne für darstellende Künstler. Sie führt an, dass 95 Prozent des Kulturhaushaltes an institutionalisierten Einrichtungen wie Museen, Opern und Theater gehen, während die 95 Prozent der Künstler dieser Stadt, die frei arbeiten, sich oft mit Stundenlöhnen von 2 bis 3 Euro begnügen müssen. Mehr als 70 Prozent der Berliner Künstler verdienen kaum mehr als 12.000 Euro im Jahr.

Nun ist es aber so, dass Berlin vor allem mit seinem „Markenkern“ Coolness und Kreativität Touristen anlockt – im letzten Jahr waren es vermutlich an die 24 Millionen Besucher. Also, so das nachvollziehbare Argument der Koalition, sei es nur recht und billig, dass Berlin endlich auch mehr investiert in das, womit es sich schmückt. Sandig und Knoch haben recht, wenn sie sagen: „Das Denken müsste sich wandeln.“

Nur sickert auch sehr bald in den Redebeiträgen der anwesenden Politiker das Problem in der Debatte durch: Jochen Sandig und Co. können werben für die Verwendung der City Tax – die bürokratischen Hürden, die bis zu ihrer Einführung noch zu nehmen sind, haben sie dabei nicht so sehr im Blick.

Kisseler berichtet daraufhin vom Geschehen in Hamburg, wo es seit Anfang dieses Jahres eine „Kultur- und Tourismustaxe“ gibt. Sie halte „Zwecksteuern“ hierzulande für unzulässig, erklärt sie. Anschließend behilft man sich mit Allegorien aus dem Tierreich, um den aktuellen Stand wiederzugeben: Während die Berliner zuvor vom „Fell eines Bären“ berichteten, der noch nicht einmal erlegt sei, sagt Barbara Kisseler: „Der Bär ist ein scheues Reh.“

Vor allem aber eines wird auf dem Podium im Radialsystem V an diesem Abend klar: Auch wenn die eloquenten Kämpfer für die Freie Szene in Berlin bereits wichtige Politiker auf ihrer Seite haben, André Schmitz hat noch lange nicht alle bekehrt, die schließlich über die City Tax entscheiden werden. Leider hat er recht, wenn er sagt, Berlin sei nicht nur „City of cool“, sondern auch „Haushaltsnotlagenland“, in dem die Schulen, die Kitas, die Schwimmbäder und die Bibliotheken aus den letzten Löchern pfeifen. Als er schließlich sagt, wie wenig ernst man als Kulturmensch im Senat genommen werde, klingt das ein wenig kokett – man glaubt es ihm aber aufs Wort.

Die City Tax wird kommen, das steht fest. Ob sie dazu beitragen wird, wenigstens die Löcher in den Hosen der Berliner Hungerkünstler zu stopfen, das steht auch nach dem gelungenen Versuch der Freien Szene, auf die große Politik zuzugehen, in den Sternen. SUSANNE MESSMER