Berliner Szenen: Neukölln-Nord
Catwalk
Einmal die heimische Friedelstraße vom Maybachufer bis zur Sonnenallee schlendern, heißt, so viel Zeug erleben, wie man es in einem durchschnittlichen deutschen Vorort, also dort, wo man mal herkam, nie erlebt hat.
Es geht gleich schnittig los auf Höhe der Undine-Apotheke, dort, wo der Apotheker alle Papstkonterfeis der Neuzeit hängen hat. Ein Radfahrer kreuzt recht ordentlich die Straße, was einem Opelfahrer nicht ordentlich genug ist, denn er hängt sich aus seinem Gefährt und schreit: „Scheiß-Radfahrer!“ Das juckt den Radler nicht, er schließt das Zweirad ab und geht hinein zum katholischen Pharmazeuten. Ein Haus weiter vermeldet die Tapasbar Manuela, dass sie bis zum 7. 12. 2051 Sommerpause macht. An ein Plakat pisst ein dreibeiniger Hund, dem ein Auge fehlt.
Statt einer Kugel Guzimi bei Fräulein Frost, bei der die Schlange 30 Meter lang ist — und man fragt sich wie stets, warum warten Menschen so lange auf eine Kugel Guzimi –, statt einer Kugel Guzimi also kauft man sich beim Zeitschriftenhändler einen Braunen Bären und ein Rubbellos, das man aber nur am Lottoscheinausfülltisch aufrubbeln darf, weil sonst der Händler sehr böse wird.
„Leider kein Gewinn“, bedauert das aufgerissene Los und zusammen mit dem Braunen Bären geht es erneut raus auf die Friedelstraße. Fast fährt einen ein Longboarder um. Aus dessen Rucksack ragt eine Plakatrolle mit dem Aufdruck „Heimische Vögel“.
Als man sich wieder sicher fühlt, schallt einem ein „Hände hoch!“ entgegen. Ein Steppke zielt mit Pistole. „Ist aber nicht geladen, hab ich zum Zuckerfest gekriegt.“ Sein Kollege neben ihm bestätigt: „Is’nen Araber, hat Ende Ramadan.“ Der Steppke nickt und zieht einen 5-Euroschein aus der Hosentasche. „Morgen kauf ich Munition.“ Harriet Wolff
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