Geschichte auf dem Sprung

ZERSTÖRTE VIELFALT Berlin erinnert an die Machtübergabe an die Nazis vor 80 Jahren mit einem vollgepackten Themenjahr. In der Stadt stolpert man auf Schritt und Tritt über die deutsche Vergangenheit. Doch die Bedingungen für Erinnerung verändern sich

Überall NS-Geschichte, man muss nur gucken. Aber man muss das Gucken auch lernen

Am Mittwoch jährt sich der Tag zum achtzigsten Mal. Der 30. Januar 1933. Tag der Machtergreifung, wie man ihn früher genannt hat. Mittlerweile spricht man lieber von „Machtübernahme“ oder „Machtübergabe“. Um damit schon im Wort zu sagen, dass es eben kein Putsch war, sondern durchaus auch der Wille zumindest von großen Teilen der deutschen Bevölkerung, dass die Nazis an diesem Tag mit Hitler als Reichskanzler an die Macht kamen.

Mit den bekannten Folgen, an die jetzt erinnert wird. So soll es am Sonntag, dem Jahrestag der Auschwitz-Befreiung, unter anderem eine Kranzniederlegung am Denkmal für die von den Nazis verfolgten Homosexuellen geben. Und drei Tage später beginnt schließlich das Berliner Themenjahr „Zerstörte Vielfalt“ – mit dem Tag der Machtübergabe und der Pogromnacht vom 9. November 1938 als Klammern. Verharmlosend nannte man diese Schreckensnacht der vom NS-Regime organisierten Übergriffe auf das jüdische Leben im Deutschen Reich auch Kristallnacht.

Das Programm (im Netz unter www.berlin.de/2013) umfasst mehrere hundert Projekte, Ausstellungen, Konzerte und Diskussionen. 5 Millionen Euro lässt man sich das Ganze kosten. Nach Angaben von Kulturstaatssekretär André Schmitz wurde in Deutschland noch nie so viel Geld für eine Veranstaltungsreihe zur Erinnerung ausgegeben wie für „Zerstörte Vielfalt“.

Ein Schwerpunkt ist eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum, in der man sich in einer Art Stadtrundgang bewegen kann, der ausgewählte Orte wie den Kurfürstendamm, das Brandenburger Tor oder den Anhalter Bahnhof mit Themen in Verbindung bringt, die die NS-Zeit schlaglichtartig beleuchten.

An Erinnerungsorten fehlt es ja nicht. Tatsächlich stolpert man in Berlin eigentlich auf Schritt und Tritt über die NS-Geschichte. Man muss nur gucken. Und man muss das Gucken auch lernen. Aber wie lernt man das: erinnern? An die NS-Vergangenheit, an Ausgrenzung. An den Holocaust. Und wie lernt man das in einer Einwanderergesellschaft, die Berlin ist, in der Schule, bei einer Vielfalt von Stimmen? TM

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