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Archiv-Artikel

Ungeliebtes Erbe

Kölner Traditionsunternehmen Gerling findet Käufer

Eine Ära geht zu Ende. Nach 101 Jahren steht der Gerling-Konzern kurz davor, seine Eigenständigkeit zu verlieren. Seit längerem schon will der Gründerenkel Rolf Gerling, mit 94 Prozent fast Alleineigentümer der Holding, das Unternehmen verkaufen. Nun scheint er am Ziel: Der Talanx-Konzern, die drittgrößte deutsche Versicherungsgruppe, ist bereit, das Kölner Traditionsunternehmen übernehmen.

1904 hatte Großvater Robert Gerling mit der Gründung seines „Bureaus für Versicherungswesen“ den Grundstein gelegt. 4.000 Mark betrug das eingezahlte Kapital. Nur 1.000 Mark stammten von dem damals 25-Jährigen, der Rest kam von Teilhabern, die später jedoch allesamt ausgebootet wurden. Als Robert Gerling 1935 schwerreich verstarb, begann eine der undurchschaubaren Perioden der Konzerngeschichte. Sie ist verbunden mit einem Namen, der in den offiziellen Geschichtswürdigungen des Unternehmens nicht auftaucht: Robert Gerling junior, dem ältesten Sohn. An ihn hatte der alte Gerling in einer schriftlichen Abmachung sechs Monate vor seinem Tod den Aktienbesitz der Dachgesellschaft übertragen. Doch der damals Anfang 20-Jährige siedelte 1939 in die USA über. Wie sich seine Brüder Hans und Walter in den folgenden Jahren den Konzern nicht gerade auf die feine Art aneigneten, war nach dem Krieg Anlass für eine ganze Reihe von Prozessen, die erst 1958 mit einem Vergleich endeten. Robert junior bekam eine Abfindung und behielt die Gerling-Firmen in der Schweiz und den USA. Der deutsche Besitz blieb bei Hans und Walter.

Hans Gerling machte den Versicherer zu einem der bedeutendsten Assekuranz-Unternehmen der Bundesrepublik. Doch 1974 rutschte Gerling in die erste große Krise. Ursache war die Pleite des Kölner Bankhauses Herstatt, dessen Mehrheitsaktionär Gerling war. Hans Gerling musste 51 Prozent seines Konzerns verkaufen, um die Herstatt-Gläubiger abzufinden, und den Vorstandsvorsitz abgeben. Aber 1978 übernahm er wieder den Chefsessel. Acht Jahre später kaufte er die Anteile zurück.

1991 starb Hans Gerling. Alleinerbe Rolf zeigte kein Interesse an der Führung des Konzerns. Seitdem agieren Manager an der Firmenspitze. Vor drei Jahren stand Gerling kurz vor der Pleite, die nur mit einem Notprogramm abgewendet werden konnte. Was nach der Übernahme durch Talanx aus den noch verbliebenen 6.800 Arbeitsplätzen bei Gerling werden wird, ist bislang unklar. PASCAL BEUCKER