Der Blick aufs wahre Leben

FILMNACHWUCHS Auf dem Saarbrücker Max-Ophüls-Festival machen junge Regisseure ihre ersten Gehversuche. Auf den Schultern ihrer Helden lastet erstaunlich schwerer Ballast

Dem Debütanten, der aufgeregt im Sessel hin und her zappelt, würde man gern das Händchen halten

VON ANKE LEWEKE

Wenn Hannelore Elsner einem hocherfreuten Regisseur den Publikumspreis überreicht, dieser ihr daraufhin erklärt, dass er vor acht Jahren noch ihr Runner am Set und für ihren Koffeinnachschub zuständig gewesen sei, dann scheint die deutsche Filmwelt in Ordnung.

Vom Kaffeeholer zum Regisseur! Was will man mehr? Überhaupt hält sich das branchenübliche Gemurre und Geknurre fern von dem Saarbrücker Nachwuchsfestival, zu sehr sind die angereisten Gäste mit dem Lampenfieber des ersten Mals beschäftigt. Dem Debütanten, der während der Premiere seines Films aufgeregt im Kinosessel hin und her zappelt, würde man am liebsten das Händchen halten oder ihn mit Baldriantropfen versorgen.

Andere Newcomer bewundert man wiederum für die Chuzpe, mit der sie ihr nächstes Projekt an die angereisten Fernsehredakteure oder Produzenten bringen wollen. Zwischen Rührung und Staunen, Freude und Kopfschütteln lassen sich beim Filmfestival Max Ophüls Preis die ersten Gehversuche des deutschsprachigen Filmnachwuchses im Kinogeschäft erleben.

Das erste Mal ist denn auch häufig das Thema der ersten Filme, liegt es doch nahe, zunächst Geschichten aus dem privaten Erfahrungshorizont zu erzählen. Gerade der eigenen Coming-of-Age-Phase entwachsen, erforscht man die Gefühle auf der Leinwand weiter.

Es ist allerdings bemerkenswert, dass sich die Regisseurinnen und Regisseure der diesjährigen Festival-Ausgabe nicht damit zufriedengeben, die uralte Geschichte von „Boy meets girl“ aufzurollen. Keine Nabelschau, sondern der Blick auf das andere, wirklich wahre Leben war angesagt. Und zu sehen war Heftiges: Mütter, die Väter ermorden, Stiefväter, die Mütter vor den Augen der Kinder erschießen, Lungentransplantationen in jungen Jahren, Amokläufe in Schulen – auf den Schultern der jungen Helden und Heldinnen lastet schwerer Ballast, der erst einmal abgetragen werden muss, bevor an Liebe überhaupt zu denken ist.

Natürlich ist der Blick aufs große Ganze, das Anliegen, persönlichen Geschichten in einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhang einzubetten, zunächst einmal sympathisch. An mancher Stelle raufte man sich im Kino jedoch die Haare und wusste nicht so recht, ob sich hier das Leben oder nicht doch das Drehbuch zu Wort meldet.

In Bettina Blümners Film „Scherbenpark“ (Drehbuchpreis) zum Beispiel geht es um die Begegnung zweier junger Menschen, die aus unterschiedlichen Schichten stammen, wegen ihrer zerrütteten Familien jedoch eine Seelenverwandtschaft spüren. Als wären die Überlebens- und Behauptungskämpfe in einer Hochhaussiedlung nicht hart genug, musste Saskia als kleines Mädchen auch noch Zeugin der brutalen Ermordung ihrer Mutter werden. Warum dieser Hang zum Extremen, der doch nur bewirkt, dass Regisseurin und Zuschauer die Figuren aus den Augen verlieren? Und warum nicht konsequent in einem Alltag bleiben, der schon genügend Abgründe und Konflikte bereithält?

Auch in dem mit dem Preis des saarländischen Ministerpräsidenten ausgezeichneten Film „Talea“ muss sich eine junge Frau am Trauma ihrer Kindheit abarbeiten. Jasmin ist bei Zieheltern groß geworden, weil ihre Mutter im Gefängnis saß. Nun ist Eva entlassen und wird von ihrer Tochter überredet, ein gemeinsames Wochenende zu verbringen. Zunächst schenkt Katharina Mückenstein ihren beiden angeschlagenen Heldinnen das warme Licht der Sommersonne. Sie geht mit ihrer Kamera einen Schritt zurück, beobachtet zwei Menschen, die einander fremd sind, obwohl es sich um Mutter und Tochter handelt. Gerade weil sich hier eine Regisseurin auf die besonderen Umstände wirklich einlässt, kann es zu fein erspürten Momenten und echten Begegnungen kommen – die aber völlig anders als erwartet ausfallen. Das Bild von Eva und Saskia mit selbst geflochtenen Blumenketten im Haar, rauchend auf einer Wiese liegend, kann jedenfalls für sich stehen.

Getragen von solch schönen und überraschenden Momenten ist auch der mit dem Hauptpreis prämierte Film „Der Glanz des Tages“ von Rainer Frimmel und Tizza Covi. Zwei Männer spielen sich selbst, in einer Art dokumentarischen Fiktion: Walter Saabel, Messerwerfer und Bärenbändiger, trifft auf den Schauspieler Philipp Hochmair. Zwei verschiedene Improvisationsstile nähern sich einander an. Sein Leben lang ist Walter mit dem Zirkus gereist, musste auf neue Orte und Menschen reagieren. Philipp wiederum erfindet sich durch seine Theater- und Filmrollen ständig neu, bleibt dabei aber eine Kunstfigur. Es ist der bodenständige Schausteller Walter, der ihm – und auch dem Zuschauer – die Augen für die einfachen und schönen und manchmal eben auch traurigen Dinge des Lebens öffnen wird. Hört sich kitschig an, ist es aber nicht.