AMERICAN PIE

Bei den immer noch ungeschlagenen Teams der NFL kommt die Dialektik in Mode

Verlieren, um zu gewinnen

Jonathan Vilma ist 1,85 Meter groß, 104 Kilo schwer und übt den Beruf des Footballprofis aus. Und das derzeit sehr erfolgreich. Die New Orleans Saints, sein Arbeitgeber, haben in dieser Saison bislang dreizehn Mal gespielt und dreizehn Mal gewonnen. Die Saints sind also unbesiegt, und Vilma ist ein großer schwerer Mann, der sich seine Gedanken macht. „Wir versuchen nicht, ungeschlagen zu bleiben, wir versuchen, einen Titel zu gewinnen“, sagt Vilma. Willkommen in der seltsamen Welt der Dialektik, willkommen in der National Football League (NFL).

Denn dort, in der umsatzstärksten Profi-Liga der Welt, passt momentan einiges nicht zusammen. Nicht nur die Diskussion um den medizinisch angemessenen Umgang mit Gehirnerschütterungen (s. a. taz vom 25. 11.) rührt ans grundsätzliche Selbstverständnis eines Sports, der sich als Tummelplatz harter Kerle versteht.

Denn zusätzlich steht ein anderer Grundpfeiler momentan auf dem Prüfstand: Der für den Erfolg der Liga nicht unwesentliche Mythos, dass an einem beliebigen Sonntag, „Any Given Sunday“, so der Titel eines Football-Films von Oliver Stone, jedes Team jederzeit jedes andere schlagen könne. Die durch die gleichberechtigte Verteilung der Nachwuchstalente im Draft und vor allem die extrem komplizierten Regelungen zur Gehaltsobergrenze abgesicherte Ausgeglichenheit wird in der letzten Zeit allerdings zusehends brüchiger.

Die Kantersiege häufen sich, und manche Teams wie die Cleveland Browns oder die Oakland Raiders kommen schon seit Jahren nicht raus aus dem Tabellenkeller. Die Detroit Lions brachten in der vergangenen Spielzeit sogar das bis dahin einmalige Kunststück fertig, kein einziges Spiel zu gewinnen.

Auf der anderen Seite gibt es immer wieder Mannschaften, die sich anschicken, ohne Niederlage durch die Saison zu spazieren. In diesem Jahr sind nur drei Spieltage vor Ende der regulären Saison sogar noch zwei Teams ungeschlagen, das gab es noch nie: neben den Saints auch noch die Indianapolis Colts, die sich bereits auch das Heimrecht in den anstehenden Playoffs gesichert haben. Und hier beginnt das Problem, denn die Trainer stehen nun vor schwierigen Fragen: Nutze ich die Gelegenheit, meine wichtigsten Spieler ausruhen zu lassen? Oder ist das eher kontraproduktiv, wenn den Leistungsträgern nach drei, vier Wochen Pause ausgerechnet in den entscheidenden Begegnungen die Spielpraxis fehlt? Was aber, wenn sich mein Star-Quarterback blöderweise in einem bedeutungslosen letzten Heimspiel schwer verletzt?

Schlussendlich aber zählt nur der Sieg in der Super Bowl am 7. Februar in Miami. Und den garantiert auch keine ungeschlagene Saison: Vor zwei Jahren marschierten die New England Patriots scheinbar unbezwingbar durch die reguläre Saison und die Playoffs, nur um nach 18 Siegen in Folge ausgerechnet das große Endspiel gegen die New York Giants zu verlieren. Solche Erfahrungen sind es, die einen wie Jonathan Vilma die Dialektik entdecken lassen. Er und seine Saints wollen nicht unbesiegbar sein. Sie wollen nur das letzte, das wichtigste Spiel gewinnen.

THOMAS WINKLER