: Kröten schlucken und Frösche küssen
Hamburger SPD gibt Berliner Koalitionsvertrag zähneknirschend ihren Segen. Parteichef Petersen: „Wir haben keine Wahl“. Mehrwertsteuer, Föderalismuskonzept und verlängerter Kündigungsschutz stehen im Mittelpunkt der kontroversen Debatte
von Marco Carini
Das Ergebnis steht, nun heißt es Kröten schlucken. Um nicht im Halse stecken zu bleiben, müssen sie den Genossen aber noch schmackhaft gemacht werden. Für solche Aufgaben haben die Sozialdemokraten Olaf Scholz, als Ex-SPD-Generalsekretär geübt darin, schwer Genießbares als Leckerbissen zu verkaufen. Eine Stunde lang erläutert der Bundestagsabgeordnete den 200 auf der Hamburger SPD-Landesparteikonferenz Versammelten am Sonnabend, warum das erzielte Ergebnis viel „sozialdemokratische Handschrift“ trage.
Sonderprogramme für energetische Gebäudesanierung und den Ausbau der Forschung, Elterngeld und unangetasteter Atomausstieg, aber auch die Streichung der Eigenheimzulage und die Erhebung der Reichensteuer – all das könne die SPD als Erfolg begreifen. Zur bislang vehement bekämpften Mehrwertsteuererhöhung gibt es nun plötzlich keine Alternative: „Wir brauchen diese Milliarden. Und woher wir sie nehmen wollen, stand auch im SPD-Wahlprogramm nicht drin.“
Auch die Verlängerung der Probezeit auf zwei Jahre verteidigt Scholz mit dem Hinweis, die SPD hätte dafür eine „gute Gegenleistung bekommen“. Dadurch, dass die „sachgrundlose Befristung“ des Beschäftigungsförderungsgesetzes in den Koalitionsversammlung gekippt worden sei, sei es für Arbeitgeber in Zukunft schwerer, zeitlich begrenzte Arbeitsverhältnisse durchzusetzen. Auch deshalb sei das Gesamtergebnis der 191 Seiten starken Koalitionsvereinbarung „ein ordentliches“.
Die versammelte Basis aber mag sich Kröten nicht für Froschschenkel verkaufen lassen. Dass eine dreiprozentige Mehrwertsteuererhöhung nun ein „besonders gelungener Kompromiss aus null Prozent und den von der CDU geforderten zwei Prozent sein soll, leuchtet gleich mehreren Genossen nicht ein. „Eine zweijährige Probezeit mit jederzeit möglichem Rausschmiss bedeutet zwei Jahre lang keinerlei soziale Sicherheit“, kritisiert das SPD-Mitglied Doris Müller die Aufweichung des Kündigungsschutzes.
Die Parteispitze aber steht – mangels Alternative – geschlossen hinter dem Erzielten. „Wir haben keine andere Wahl als der Großen Koalition so zuzustimmen – also werden wir die Kompromisse jetzt auch mittragen“, gibt SPD-Landeschef Mathias Petersen die Richtung vor. „Die Föderalismusreform tut schon weh“, befindet der Fraktionsvorsitzende Michael Neumann. Sie bedeute, „dass wir 16 unterschiedliche Bildungspolitiken haben und Herr Kusch in Hamburg die Richtlinien des Strafvollzugs alleine bestimmen kann“. Doch da man „zumindest noch die so genannte Reichensteuer“ durchgesetzt habe, könne er zustimmen.
Der Eimsbüttler Bundestagsabgeordnete Niels Annen bewertet die „Föderalisierung im Bildungsbereich“ als „falsche Konsequenz aus der Pisa-Studie“. Immerhin aber habe sich die CDU bei der Abschaffung der Tarif–autonomie und der Einführung der Kopfpauschale nicht durchsetzen können. „Es ist“, weiß Annen, „halt keine Liebesheirat.“ Manchmal muss man eben auch Frösche küssen, die sich nicht in einen Prinzen verwandeln.