Schall aus der Kirchendecke

ORGELANLAGE Erstmals nach ihrer Total-Überholung erklangen die drei Orgeln des Michel am Mittwoch öffentlich. Die Arbeiten hatten fast zwei Jahre gedauert

Voluminös: Über insgesamt 142 Register verfügt die neue Orgelanlage des Michel, 86 von ihnen hat allein die Steinmeyer-Orgel.

Epochal: Während die Steinmeyer-Hauptorgel als neobarockes Klangdenkmal gilt, ist die Marcussen-Konzertorgel ein romantisches Instrument.

Historisch: Der Michel verfügte stets über herausragende Orgelwerke: Einer Schnittger-Orgel (bis 1750) folgte ein Instrument des Orgelbauers Zacharias Hildebrandt (bis 1906), das schließlich durch eine Walcker-Orgel (1912-1945) abgelöst wurde.

Es waren über 2.000 ZuhörerInnen, die am Mittwoch den Werken Bachs und Duprés lauschten, gespannt darauf, wie sie klingt, die neue alte, generalüberholte Orgelanlage des Hamburger Michel. Erstmals nach Abschluss ihrer Restaurierung, die 22 Monate dauerte und über 1,5 Millionen Euro verschlang, wurde die „Königin der Instrumente“ dem Publikum akustisch präsentiert.

Erstmals überhaupt erklangen alle drei Elemente der Anlage gemeinsam: Die monumentale, 1960 bis 1962 erbaute Steinmeyer-Orgel, die 1914 konstruierte, wesentlich kleinere Marcussen-Orgel und ein sogenanntes Fernwerk, das es seit 1945 nicht mehr im Michel gegeben hatte – gemeinsam gespielt auf einen neuen Generalspieltisch.

„Zu dünn, zu schrill, zu soft, zu unausgewogen“, habe die Steinmeyer-Orgel vor ihrer Restaurierung geklungen, erinnert sich Hartwig Späth, Chef einer der beiden Orgelbau-Firmen, die für die Wiederbelebung der Anlage verantwortlich zeichnen. Zudem sei sie „schwach auf der Lunge“ gewesen. So habe man „Stimmbildung betreiben“ und die „Windversorgung“ durch neue Abdichtungen und Steuerungen vom lauen Lüftchen auf das Niveau eines kraftvollen Sturms heben müssen.

Manfred Schwartz, Orgelsachverständiger der Evangelischen Landeskirche Westfalen, hat das Projekt federführend betreut. „Hier gab es zwei desolate Orgeln, besonders die Marcussen-Orgel war total hinüber“, erinnert sich der Gutachter. Wie „ein Puzzle aus tausend Teilen“ musste die Anlage Orgelpfeife für Orgelpfeife erneuert werden. „Zuerst habe ich nicht geglaubt, dass zwei so unterschiedliche Orgeln miteinander harmonieren können, bis zwei Musiker an ihnen zeitgleich das selbe Stück“ zu spielen versuchten. Das klang so gut, erinnert sich Schwartz, dass er fortan von seinem „Irrglauben kuriert war“ und den Bau des Generalspieltisches befürwortete, über den beide Orgeln gemeinsam zum Klingen gebracht werden können.

Besonders stolz sind die Restaurateure aber auf das Fernwerk auf dem Kirchen-Dachboden, dass ein 1945 eingemottetes Vorgängermodell ersetzt. Es strahlt die Schallwellen durch ein lange zugekleistertes Schall-Loch in der Mitte des Deckengewölbes indirekt in den Kirchenraum ab und sorgt so für ein besonderes Klangerlebnis. Dieses Klangerlebnis aus ihrer Jugend war es, das eine inzwischen verstorbene Unternehmerin zu einer Millionenspende veranlasste, ohne die die Restaurierung nicht hätte finanziert werden können. MARCO CARINI