piwik no script img

Archiv-Artikel

Weltpokalsieger in der Oberliga

Am Sonntagabend kickte Jörg Heinrich in Dortmund noch mal gegen die Elite des Weltfußballs. Im Alltag will der Exprofi mit dem 1. FC Union Berlin den Aufstieg schaffen

Normalerweise spielt Jörg Heinrich in der Oberliga Nordost für den 1. FC Union Berlin. Die Gegner heißen FV Motor Eberswalde oder SV Falkensee-Finkenkrug. Der gestrige Sonntag fiel da völlig aus dem Rahmen. Jörg Heinrich wetteiferte im Dortmunder Westfalen-Stadion mit Bebeto, Roger Milla, Alessandro Del Piero, Thomas Häßler und weiteren Weltstars um den Ball. Es war das Abschiedsspiel von Julio Cesar, bei dem sich der Champions-League-Sieger von 1997, Borussia Dortmund, und eine Weltauswahl gegenüberstand.

Die Weltelite dort, Falkensee-Finkenkrug hier. Jörg Heinrich hält fein säuberlich auseinander, was war und was ist. Nach seinem ersten Profijahr in Freiburg war er Nationalspieler, nach seinem zweiten in Dortmund Deutscher Meister, nach seinem dritten Champions-League- und Weltpokalsieger, nach seinem fünften wechselte er zum AC Florenz. Der zahlte 25 Millionen Mark, die höchste Transfersumme, die je für einen Deutschen bezahlt wurde. Nach elf Jahren beendete Heinrich seine Profilaufbahn. „Irgendwann muss Schluss sein“, sagt der 35-Jährige.

Eigentlich hatte er auch ganz mit dem Fußballspielen aufhören wollen, doch als er vor anderthalb Jahren alleine durch die Wälder seiner Heimat Brandenburg lief, merkte er, dass er nicht zum Einzelgänger taugt. Der FV Ludwigsfelde nahm ihn gerne auf und man überredete ihn, am Spielbetrieb teilzunehmen.

Dem 37fachen Nationalspieler machte die Oberliga richtig Spaß. Sein Ehrgeiz war rasch wieder erwacht. Vor dieser Saison wechselte er zum Ligakonkurrenten Union Berlin. Für den Traditionsverein, der noch vor zwei Jahren in der Zweiten Liga spielte, zählt nur die Meisterschaft. „Ich habe mich ganz bewusst diesem Druck ausgesetzt“, erklärt Heinrich.

Dabei ist dem WM-Teilnehmer von 1998 der Abschied vom Profifußball leicht gefallen. Das habe ihn selbst überrascht, sagt Heinrich. Viele hätten ihn vor dem großen Loch gewarnt, in das man am Ende seiner Profilaufbahn hineinfalle. Wenn er sich im Stadion ein Bundesligaspiel anschaue, empfinde er aber keine Wehmut. Mit keiner Faser seines Körpers ziehe es ihn ins Rampenlicht zurück.

Lieber geht der Fußballmillionär mittags mit anderen Union-Spielern in eine nahe gelegene Kantine, weil man dort so preiswert essen könne. Beim Trainingsspiel tritt der Weltpokalsieger ohne jegliches Platzhirschgehabe auf. Reihum wird gezetert und gehadert, gelobt und ermutigt. Heinrich hingegen hält still und souverän die Abwehr seines Teams zusammen. Sein Trainer, Frank Lieberam, ist sehr angetan von ihm: „Jörg Heinrich hat eine absolut professionelle Einstellung. Er spricht nicht viel, aber wenn er etwas sagt, trifft er genau den Punkt.“

Heinrich selbst beschreibt sich als sachlichen Menschen. Geht es aber um Zukunftsfragen, kann er außergewöhnlich pathetisch werden. „Gibt es etwas Schöneres, als am Ende einer Saison die Schale hochzuhalten – egal in welcher Liga?“, fragt er. Oder: „Das Schönste ist doch, talentierte Spieler auf ihrem Weg nach oben zu begleiten.“ Oder: „Es gibt nichts Schöneres, als eine Mannschaft mit aufzubauen.“

Die vielen Schönheiten scheinen Heinrich derzeit den Kopf zu verdrehen. Soll er nach Ende der Saison ein weiteres Jahr spielen? Er weiß es noch nicht. Oder wird er sich auf seine bereits bestehende Spielerberatungsagentur konzentrieren und junge Talente fördern? Abwarten.

Eine Arbeit als Teammanager bei Union kann er sich ebenfalls gut vorstellen. Und Erich Ruthemöller, den Leiter der Trainerausbildung des DFB, hat er vor kurzem auch schon angerufen. Er wollte nur ganz unverbindlich wissen, welcher Arbeitsaufwand auf ihn zukäme, wenn er sich zum Trainer ausbilden ließe. Vor einem Jahr hätte er das noch kategorisch ausgeschlossen, weil er sich diesen Stress nicht antun wollte, versichert Heinrich. Aber eine Mannschaft mit aufbauen, das fände er dann doch eben schön.

„Mir ist es gelungen, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Karriere kann man planen“, sagt Jörg Heinrich zum Schluss. Bislang hat er bei seiner Lebensplanung immer einen guten Instinkt bewiesen. JOHANNES KOPP