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Archiv-Artikel

Geliebter Rechtsstaat!

Nicht gegendarstellungsfähig (XXVII): Jony Eisenbergs juristische Betrachtungen. Heute: Verhungern lassen

Ein Deutscher syrischer Abstammung, Hamburger Im- und Exportkaufmann, verheiratet mit einer Deutschen deutscher Provenienz, macht in den 80er-Jahren mit Ussama Bin Laden Geschäfte. Nach dem 11. 9. 2001 wird gegen den deutschen Kaufmann ermittelt, ein spanischer Haftrichter erlässt einen Haftbefehl wegen Unterstützung einer internationalen terroristischen Vereinigung. In Deutschland war das Tun des Kaufmanns zu jener Zeit (noch) nicht strafbar. 2004 will ihn die Bundesrepublik Deutschland – trotz deutschen Verfassungsverbots – an die Spanier ausliefern. Das Bundesverfassungsgericht unterbindet dies, der Mann wird aus der Auslieferungshaft entlassen.

Die US-Amerikaner lassen den Sicherheitsrat der UN den Mann auf eine Liste internationaler Terroristen setzen und mit Sanktionsmaßnahmen belegen. Gehört wird er dazu nicht. Irgendeine Art Rechtsschutzverfahren gegen solche Beschlüsse ist für Betroffene nicht vorgesehen. Eilfertige europäische Vollstrecker erlassen einen EU-Rechtsakt, nach dem an Leute, die auf dieser UN-Liste stehen, keine staatlichen Mittel gezahlt werden dürfen. Außerdem sind ihre Konten zu sperren. Folge: Nach dem Deutschen Außenwirtschaftsgesetz (AWG) macht sich jeder strafbar, der dieser UN-Sanktion zuwiderhandelt. Es ist nicht bekannt, dass sich die Bundesrepublik Deutschland in UN oder EU dafür verwendet hätte, ihrem Staatsangehörigen die Aufnahme auf die Liste zu ersparen.

Der Mann ist nun bettelarm: Nach 9 Monaten Abschiebehaft kann er ohne Konten seinen Geschäften nicht nachgehen. Er beantragt mit seiner Ehefrau Sozialhilfe. Das Sozialamt lehnt ab. Sozialhilfe verstieße gegen die Sanktion des Sicherheitsrats der UN, den EU-Rechtsakt und das Deutsche AWG. Aus demselben Grund bekommt auch die Ehefrau keine Stütze – sie würde ihm davon abgeben.

Der Mann schreibt an das Bundeskanzleramt, das Bundesjustizministerium, an das Auswärtige Amt und bittet um Hilfe. Antwort: keiner zuständig. Da sitzt er nun: Was soll und kann er gegen den Sicherheitsrat der UN oder die EU unternehmen? Was sonst tun? Ins Ausland kann er nicht. Dort wird sofort der europäische Haftbefehl vollstreckt. Deutschland darf ihn von Verfassung wegen und weil es das Bundesverfassungsgericht so entschieden hat, nicht ausliefern. Aber aushungern?

Gegen die Ehefrau eines anderen Terrorverdächtigen, der auf die Liste gesetzt wurde, wird wegen Verstoßes gegen das AWG strafrechtlich ermittelt. Sie hatte ihrem Gatten 100 Euro aufs Haftkonto gezahlt und damit gegen die Sanktionsmaßnahme der UN verstoßen. Das ist der Rechtsstaat, den wir lieben! J. EISENBERG