NRW verabschiedet sich von der Tariftreue
Schwarz-Gelb will sich so schnell wie möglich vom Tariftreuegesetz trennen. Was für Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU) ein „Bürokratiemonster“ ist, halten Gewerkschafter für den einzigen Schutz vor Lohndumping
DÜSSELDORF taz ■ Die meisten der 200 Bauarbeiter wurden einfach nicht bezahlt. Auf NRWs teuerster Baustelle in Minden wurden monatelang die Löhne gedrückt und die Sozialversicherung umgangen, deckte die Gewerkschaft Bauen Agrar Umwelt (IG BAU) in der vergangenen Woche auf. Für 210 Millionen Euro entsteht hier ein neues Klinikum. Bauherrin ist ein Zweckbündnis aus Stadt und Kreis Minden. Und die sind als öffentliche Auftraggeber verpflichtet, alle Jobs über 10.000 Euro nur an Betriebe zu vergeben, die sich verpflichten, ihrer Belegschaft die gültigen Tariflöhne zu zahlen.
Auch die Mindener Baufirma hat die gesetzlich geforderte Tariftreueerklärung unterzeichnet. „Papier ist eben geduldig“, sagt Jürgen Lechtenbörger, Geschäftsführer des IG BAU-Bezirks Ostwestfalen-Lippe. „Die Kommunen legen die Erklärungen zu ihren Akten und auf den Baustellen wird gnadenlos ausgebeutet.“ In Minden soll jetzt – nachdem die IG BAU die Missstände öffentlich gemacht hat – umfassend kontrolliert werden: Ein Subunternehmer musste bereits gehen, die anderen stehen unter Beobachtung.
Im nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium hält man das Tariftreuegesetz wegen solcher Vorfälle für wirkungslos. „Bürokratiemonster“ nannte Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU) das 1992 eingeführte Landesgesetz. Sie will die Verpflichtung öffentlicher Auftraggeber zur Tariftreue kippen – nach Möglichkeit noch in diesem Jahr. „Das Gesetz hat sein Ziel verfehlt“, sagt ihr Sprecher Joachim Neuser. „Die Kommunen sind so lediglich verpflichtet, einen sinnlosen Papierkrieg zu führen.“ Es sei für die Städte und Gemeinden unzumutbar, sich im deutschen Tarifdschungel zurechtzufinden oder in ganz Europa umherzureisen, um die Lohnbücher der Unternehmer zu kontrollieren. Um Arbeitnehmer vor Lohndumping aus dem Ausland zu schützen, reiche das bundesweite Entsendegesetz völlig aus, so Neuser. Das Entsendegesetz verpflichtet ausländische Unternehmen bei Aufträgen in Deutschland die tariflichen Mindestlöhne einzuhalten.
„Dann leben wir endgültig in einer Bananenrepublik“, sagt Gewerkschafter Jürgen Lechtenbörger. „Das Gesetz muss überarbeitet werden und nicht gekippt, sonst werden sämtliche Unternehmen, die anständigen Lohn zahlen, vom Markt gedrängt.“
Die nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten wollen im Landtag um ihr Gesetz kämpfen. „Das Tariftreuegesetz schützt nordrhein-westfälische Arbeitsplätze“, sagt SPD-Fraktionsvize Rainer Schmelzer. „Ohne die gesetzliche Verpflichtung werden die Aufträge nur noch an Unternehmen von außerhalb vergeben.“ Auch der Sozialdemokrat sieht Schwachstellen im Gesetz. „Es muss besser kontrolliert werden können.“ Dafür müssten die kommunalen Beamten jedoch nicht von Baustelle zu Baustelle reisen. „Sie müssen die Haupt-Unternehmen verpflichten, die Lohnbücher aller Subunternehmen offen zu legen.“
MIRIAM BUNJES