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Archiv-Artikel

DIE MEHRHEITEN IM BUNDESTAG VERSAGEN DER OPPOSITION EIN RECHT Fairnessprobe für die große Koalition

Die große Koalition rückt viele parlamentarische Regeln in ein anderes Licht. So ist laut Gesetz ein Drittel der Abgeordneten erforderlich, um gegen ein Gesetz der Regierungsmehrheit beim Bundesverfassungsgericht zu klagen, derzeit müssten sich also 205 Parlamentarier zusammenfinden. Doch selbst wenn die Opposition vereint aufträte, käme sie nur auf 166 Abgeordnete. So läuft das Recht der Normenkontrolle in den kommenden vier Jahren leer. Das betrifft nicht nur das aktuell umstrittene Haushaltsgesetz, sondern jedes Bundesgesetz.

Man könnte dies mit dem Argument begrüßen, dass diese Gesetzesprüfungen des Bundesverfassungsgerichts eh unnötig sind. Wo es konkret Betroffene gibt – Bürger, Bundesländer, einzelne Abgeordnete –, sollen diese klagen, etwa per Verfassungsbeschwerde oder Organklage. Es muss nicht unbedingt sein, dass die Opposition nach einer Niederlage im Bundestag das von der Mehrheit beschlossene Gesetz noch nach Karlsruhe trägt. Zu exzessiv hat die Opposition in manchem Jahr von diesem Recht Gebrauch gemacht. Doch solange es die Normenkontrolle gibt, muss sie so ausgestaltet sein, dass sie der jeweiligen Opposition auch zur Verfügung steht.

Es macht keinen Sinn, die Mindeststimmenzahl für die Klage so zu legen, dass sie nur durch eine der beiden großen Volksparteien erfüllt werden kann. Denn in Zeiten der großen Koalition fallen ja auch andere mögliche Kläger aus. So wird wohl keine der 16 Landesregierungen gegen den überschuldeten Bundeshaushalt oder ein anderes möglicherweise verfassungswidriges Bundesgesetz vorgehen, da ja an allen Landesregierungen SPD oder CDU/CSU oder sogar beide beteiligt sind.

Es spricht also viel für den FDP-Vorschlag, die Hürde für die Normenkontrolle abzusenken. Würde künftig ein Viertel der Bundestagsabgeordneten verlangt, könnten Liberale, Grüne und Linke gemeinsam diese Hürde überspringen. Zwar kann niemand SPD und Union zu einer derartigen gesetzlichen Änderung zwingen. Es wäre aber ein vertrauensbildender Akt der parlamentarischen Fairness. CHRISTIAN RATH