Erzwungener Camp?

KUNG FU Wong Kar-Wais „The Grandmaster“ ergibt sich beim Kampfkunst-Spektakel ganz den Details. Manchmal läuft sein Manierismus aber ins Leere (außer Konkurrenz)

Mein Wunsch, dass ein amtlicher Regisseur sich institutionskritisch mit Kung Fu beschäftige, wird wohl erst vom Eröffnungsfilm der 163. Berlinale erfüllt werden

VON DIEDRICH DIEDERICHSEN

Kung Fu ist die Lehre von Senkrechter und Horizontaler, lernen wir zu Beginn, zum trotzig beherrschten, gleichwohl melancholischen Ende wird die Einsicht noch einmal bekräftigt. Sie passt gut zu Wong Kar-Wais Eröffnungsfilm „The Grandmaster“, denn die klassische Herausforderung asiatischer Kampftechniken ans Kino interessiert ihn weniger: verblüffenden Bewegungsabläufen folgen, sie nachvollziehbar machen und den Zuschauer dann doch wieder zum Staunen bringen.

Stattdessen erklingen goldene Worte erfahrener Patriarchen nebst Infos über lokale Kung-Fu-Stile und ihre Reise über das chinesische Festland. Den Meister des Zwielichts, der Patina, der Spiegelungen und der undurchsichtigen Witterungen interessieren am großen Bewegungstheater nur Fragmente und Momente. Das kann großartig sein, wenn im Kampf zwischen edler Frau und korruptem Pseudo-Meister einer der ebenso bequem wie supersolide wirkenden Kung-Fu-Schuhe in Zeitlupe den Schnee auf einem Bahnsteig pulverig zerstieben lässt. Ob dieser dem bösen Mann oder der guten Frau gehört, erfahren wir nach und nach, während sich der explosive kleine Schneeregen legt und die fragilen Füße der Kämpferin hervortreten.

Das kann aber auch nerven, wenn einmal mehr in einer Straßenszene die edel präparierten Schneeflocken nicht mehr ausreichen, sondern dazu noch Nebelschwaden und Dampfwolken herbeigeblasen werden müssen, durch die das Zwielicht altchinesischer Gaslaternen blinzelnd seinen funzeligen Spot auf die edlen Züge von Liebenden wirft, die doch nicht zueinander kommen können.

Diese zwei Eindrücke lassen mich während der 120 Minuten nicht in Ruhe: Zum einen hat hier ein Virtuose seine Mittel noch mal verfeinert, aufgeputzt und ausgeklügelt, der dem Kino in die Hand drücken will, was sich eigentlich nicht fixieren lässt: die Undurchdringlichkeit der Welt und ihrer Materie, ihrer Atmosphären, ihrer ungeputzten Scheiben und ihre ewigen Tendenz zum Vergilben. Zum anderen läuft hier ein Manierismus ins Leere. Man kann ihn bestaunen, fragt sich aber, von welcher Welt diese konstruierten Bilder abstrahieren. Erzwungener Camp?

Das mag auch an der langsam in die Fragwürdigkeit driftenden Dauerformel zeitgenössischen Kinos liegen: Verdienter Gegenwartsregisseur greift sich ein altes Genre-Kino-Motiv, dessen Gesetze er respektiert und dem er als Tribut an die Gegenwart noch eine große Frauenrolle hineinschreibt. Dabei interessiert Wong Kar-Wai das kleine Mal in den Augen seiner starken Frau, direkt neben der Pupille, deutlich mehr als der Kram mit der Familienehre. Zu Recht. Das schönste Bild zeigt ihr Gesicht leinwandfüllend, hingegossen unter dem Einfluss von Opium.

Mein Wunsch, dass ein amtlicher Regisseur sich institutionskritisch mit Kung Fu beschäftige, ja mit der hier entfernt angedeuteten Sozialgeschichte der Dienstbarkeit seiner Meister, wird wohl erst vom Eröffnungsfilm der 163. Berlinale erfüllt werden.

■ 8. 2., Friedrichstadt Palast, 15 Uhr; Berliner Festspiele, 20 Uhr