: Dum derra dum dum diddy diddy dah dah
FREUDENTRÄNEN Wirklich etwas anderes als ein besinnlicher Heiliger Abend. Aber irgendwie doch eine Weihnachtsgeschichte mit vergnügten Glücksgefühlen und frohen Botschaften. Ein Ohrwurm in Venice Beach
VON KLAUS MODICK
All die Sha-la-la-las, all die Yeah-yeah-yeah-yeahs, all die Shoo-bee-doo-bahs, all die Shing-a-ling-a-lings aus Rock- und Popsongs – was wollen sie uns eigentlich sagen? A-wop-bop-a-loo-lop a-lop-bam-boo? Gaga-Gelalle eines postinfantilen Verseschmieds oder geniales Neodada? Do-wah-diddy-diddy-dum-diddy-do? Gut gelaunter Schwachsinn oder neologistischer Geistesblitz?
Als ich neulich einen Spaziergang am Strand von Venice gemacht habe, beschäftigte, um nicht zu sagen: belästigte mich diese Frage ungefähr so, wie man musikalisch vom so genannten Ohrwurm beschäftigt wird. Der Ohrwurm ist, nebenbei bemerkt, unter schönen deutschen Wörtern besonders schön, weil er in seiner bildhaften Präzision unübersetzbar ist.
Angefangen hat es ganz harmlos, wenn natürlich auch gleich mit besagtem Ohrwurm. Nachdem ich den Wagen am Ocean View Park für 7 Dollar Beach-Parking-Gebühr abgestellt hatte und der Promenade des legendären Ocean Front Walk entgegenschlenderte, kam mir ein Song von Van Morrison in den Sinn – „Venice, CA“, eine schmissige, mit munterem Reggae-Shuffle-Rhythmus unterlegte Nummer.
Botox on the Beach
Van Morrison knödelt da vergnügt vor sich hin, dass er sich in einem Restaurant in Venice mit seinem „Baby“ unterhalte, Freudentränen vergieße und spazieren gehe. So weit, so uninteressant. Aber dann kommt der Refrainhammer. Er lautet nämlich: Dum derra dum dum diddy diddy dah dah. Und dies Dum derra dum dum diddy diddy dah dah kommt auch gleich dutzendfach daher. In der zweiten Strophe informiert Van the Man uns darüber, dass die Straßen von Venice regennass seien, dass er zum Hafen schlendere und Schiffe einlaufen sehe und wieder Freudentränen weine. Dum derra dum dum diddy diddy dah dah. So zirka zwanzigmal. Dum derra dum dum diddy diddy dah dah. Dum derra dum, na ja, Sie wissen schon. In der dritten Strophe wird weiter spaziert, und schließlich fordert Van den geneigten Hörer zum Mitsingen eines Liedchens auf. Das gehe, Überraschung!, folgendermaßen: Dum derra dum dum diddy diddy dah dah, dum derra dum dum diddy diddy dah dah – und das geht und dreht sich dann ohrwurmartig gen unendlich.
Und wollte mir einfach nicht mehr aus dem Kopf, obwohl auf dem Front Walk Musik aus jedem Laden und handgemacht und mundgeblasen bei zirka jeder zehnten Palme schollert. Zwei ältere Herren mit Cowboyhüten, einer breit wie zwei Flugzeugsitze, einer spargeldünn, klampfen fingerfertig, atemberaubend flink Country & Western Standards, diddy diddy dah dah, eine Band jazzrockt ausufernd improvisiert, dum derra dum dum, aus der Jungbrunnenspritze „Botox on the Beach“, deren Kundschaft vielleicht schon aus den beiden Altersheimen am Ende des Front Walks kommt, wummert, der Zielgruppengeneration clever angepasst, „L.A. Woman“ von den Doors, die vor mehr als vierzig Jahren hier in Venice ihr Feuer entfachten, drei ausgemergelte Dreadlocks trommeln Reggaerhythmen, dum derra dum, die das Schlendern beschwingter machen, und das Sprachstakkato der Rapper klingt auch irgendwie nach dum derra dum dum diddy diddy dah dah.
Im Coffeeshop, aus dem ich mir einen Cappuccino „to go“ mitnehme, juxen die Good Old Beatles „Obladi, oblada“, was ja auch nur ein anderes Wort für Do-wah-diddy-diddy sein dürfte, und draußen auf dem sonnigen Front Walk hiphopt und breakdanct es vielfarbig und jugendlich, dumm derra dum dum, spielt beim Venice Recreation Center Basketball, diddy diddy, und Paddle-Tennis, dah dah.
Hier bei der Halle, deren Dach, in grauen Beton gegossen, die Form einer Hantel hat, schlägt, dum dum, das starke Herz von Venice – hier ist Muscle Beach, das Mekka der Muskelmänner. Hier hat Arnold Schwarzenegger das Eisen gepumpt, bis aus dem österreichischen Mister Universum Conan der Barbar und schließlich Kaliforniens Gouverneur wurde, der Governator. Dass Kalifornien pleite ist, liegt nicht zuletzt an den Wahlgeschenken des starken Manns, etwa der Halbierung der Kfz-Steuer. Diddy diddy dah dah.
Und Kfzs gibt’s viele, sehr, sehr viele, in Kalifornien, und in Los Angeles noch viel mehr. Von Stiernacken und Waschbrettbäuchen rinnen Schweißströme dem Strand entgegen, dem fast 500 Meter breiten Bilderbuchstrand, an dem durchtrainierte Life Guards über tollkühne Surfer wachen und von knallharten Lichtschutzfaktoren beschützte Bikinibeauties, diddy diddy dah dah, wohlwollend im Auge behalten.
Immer mal wieder gern vom Santa-Monica-Pier herbeispazierend, dum derra dum dum, hatte sich hier vor sechzig Jahren auch schon ein Herr Thomas Mann an den Leibesübungen der Jünglinge ergötzt.
Was hätte dieser von Krankheit so faszinierte Mann wohl von Dr. Kush’s Medi-THC gehalten, gleich gegenüber der Muckiarena? Wer Krebs, Aids oder chronische Schmerzen hat, unter Arthritis oder Migräne leidet, der kann sich bei Dr. Kush und Kollegen Marihuana verschreiben lassen.
Die Patienten, die bei Dr. Kush ein- und ausgehen, sehen allerdings gar nicht leidend aus. Migräne reicht ja auch schon. Dope ganz legal auf Rezept, diddy dah dah. Kalifornien mag bankrott sein, liberaler als andere US-Staaten war es schon immer. Und hier auf dem Front Walk, am äußersten Rand der westlichen Welt, ist große Freiheit Programm, dum dum. Nicky the Healer heilt durch Handauflegen, chinesische Masseure kneten, dum derra dum, Verspannungen weg, im Feng-Shui-Salon wird die Fließrichtung der Körperenergien zwecks Karmakorrektur reguliert, diddy dah, Handleserinnen und Kartenleger blicken in die Zukunft, der man, in „Tony’s Tatoo Studio“ tätowiert und gepierct, auf Inlineskates entgegenrollt oder, iPod im Ohr, joggt.
In Gruppen unter Palmen
Strandpenner sitzen in Gruppen unter Palmen, ihre Rucksäcke und Matten zu Haufen getürmt, rauchen Zigaretten, was am Strand verboten, auf dem Walk und sogar noch auf den Terrassen von Cafés und Restaurants erlaubt ist. Manche durchwühlen die Mülleimer nach Pfandflaschen und Dosen, ein paar Junkies betteln. Ganz in Schwarz, Schlagstock, Pistole und Handschellen am Gürtel, gehen Polizisten Patrouille, dum derra dum dum, aber die große Freakshow des Walks brodelt friedlich vor sich hin, und für den Fall der Fälle gibt es eine Anwaltskanzlei, gleich dah-dah zwischen Sonnenbrillensupermarkt und Hot-Dog-Bude.
Den etwas düsteren, schmalen Eingang zum Buchladen könnte man glatt übersehen, und drinnen kommt man aus dem Staunen nicht heraus – ausgerechnet hier zwischen Körperskulpturen und Jongleuren, Taschenspielern und abgewrackten Gurus, hier auf der all-American Meile aus Rummelplatz und Laufsteg, Sportplatz, Strandpromenade und Eitelkeitskirmes: keiner dieser standardisierten Buchsupermärkte, vollgestapelt mit qietschbunten Bestsellern, dum dum, und mindestens fünfzig Kaffeevariationen im Ausschank, sondern ein liebevoll und sachkundig sortierter, unabhängiger Laden. Allein fünf Regale voll Lyrik! Dum derra dum!
Auf dem Tresen stehen die Empfehlungen der Mitarbeiter, und diese Empfehlungen, subjektive Kurzkritiken, sind in schönster Kalligrafie säuberlich auf Kärtchen geschrieben. Dass es so was überhaupt noch gibt! Ausgerechnet hier beziehungsweise diddy diddy dah dah!
Bei Sonnenuntergang kühlt es ab, die Brise frischt auf, Palmenschatten fallen lang und länger über die Häuserfront. Die Passantenströme verebben, Familien mit Kindern und Picknickkühlern, Surfer und Bikinibeauties schlendern hüftschwingend zu den Parkplätzen. Bei Nacht, sagt man, sei der Front Walk zu meiden. Im Seewind schaukelt leiser werdendes Getrommel, dum derra dum dum, und Geruch von Fast Food, Salz und Sonnenöl. Als ich ins Auto steige, kenne ich plötzlich die tiefere Bedeutung aller Sha-la-la-las, Obladi-obladas und Do-wah-diddy-diddys dieser Welt und weiß auch genau, was dum derra dum dum diddy diddy dah dah heißt – aber schöner als Van Morrison, zum Freudentränenheulen schön, kann man es wirklich nicht sagen.
■ Klaus Modick ist Schriftsteller. Zuletzt erschien der Roman „Die Schatten der Ideen“ (Eichborn)