„Rauskriegen, warum der so tickt“
Dinge, die man gern ignoriert, sind genau der richtige Stoff für den Filmemacher Rosa von Praunheim. Zum Beispiel die Widersprüche schwuler junger Nazis, auf die er sich in seinem neuen Film „Männer Helden Schwule Nazis“ einlässt. Denn ihm reicht der politische Diskurs der Schwulenszene nicht
INTERVIEW JAN KEDVES
taz: Herr von Praunheim, bei Ihrem neuen Dokumentarfilm „Männer Helden Schwule Nazis“ kommt man ja aus dem Kopfschütteln kaum heraus … Ist es so unglaublich, dass es so etwas wie schwule Nazis überhaupt gibt?
Rosa von Praunheim: Genau. Das ist sicher eine Szene, über die man zu wenig weiß. Ich habe da auch oft den Kopf geschüttelt. Aber die Schwulen sind ja ein Spiegelbild der Gesellschaft, wie alle Minderheiten. Jemand hat mir mal gesagt, dass ein Drittel der Mitglieder von Neonazi-Gruppierungen selber zu den Minderheiten gehören, die von den Nazis offiziell verurteilt werden. Gerade die, die von der Gesellschaft als minderwertig eingestuft werden, versuchen, das wieder umzudrehen. Da gibt’s viele psychologische Geschichten, die da eine Rolle spielen.
Wie kam es, dass Sie sich mit diesem Thema auseinander setzten?
Am Anfang standen drei Kurzfilme, in denen ich schwule Opfer und Zeitzeugen der Nazizeit porträtiert habe. Diese Kurzfilme konnte ich nirgendwo verkaufen, bis heute hat sich kein Fernsehsender für sie interessiert. Da dachte ich, dass es vielleicht interessant sein könnte, diese Kurzfilme ins Umfeld von rechten Schwulen zu setzen – ich wusste ja von einigen. Anfang der Siebziger, als ich die Schwulenbewegung mitbegründete, gab’s ja nicht nur linke, sondern auch rechte Schwule. Damals fanden wir das allerdings eher unangenehm und haben die ignoriert.
Wie schwierig war es dann, schwule Nazis vor Ihre Kamera zu bewegen?
Es gab natürlich eine ganze Reihe von Absagen von Leuten, die keine Öffentlichkeit wollten. Die Interviews mit denen, die sich dann bereit erklärt haben, waren von meiner Seite aus auch manchmal angstbesetzt, weil ich einfach nicht wusste, wie diese Leute reagieren. Meine Methode war, sehr ehrlich und direkt zu sein und sie nicht zu verarschen. Die wussten ja, wer ich bin und was für eine Haltung ich habe. Ich habe versucht, sie als Menschen zu sehen und nicht nur als Monster.
Bei der Premiere des Films im Februar auf der Berlinale wurde dies im Publikum kontrovers diskutiert. Einige Besucher warfen Ihnen vor, Sie hätten Ihre Interviewpartner – beispielsweise den ehemaligen NPD-Star Bernd Ewald Althans – zu nett behandelt …
Das stimmt. Es gibt einen Teil, der meint, ich hätte schärfer mit ihnen umgehen können. Ich hätte auch Material genug gehabt, um die fertig zu machen. Das fand ich aber nicht fair. Ich wollte mich auf die Menschen einlassen und herausfinden, wie die mit diesem Widerspruch leben. Wenn sie einen Selbstmordattentäter interviewen, geht’s da ja auch nicht darum, über Gewalt zu diskutieren, sondern darum, die Hintergründe zu verstehen und rauszukriegen, warum der so tickt.
Ihr Argument bei der Diskussion auf der Berlinale war auch, dass „Männer Helden Schwule Nazis“ niemals allein gezeigt werden solle, sondern immer nur in Kombination mit „Umsonst gelebt – Walter Schwarze“, einem der drei bewegenden Kurzfilme, die dem Film vorausgingen – als Gegengewicht sozusagen. Diese Woche beim One-World-Festival wird es allerdings nicht so sein …
Ja, da wird „Umsonst gelebt“ drei Tage später gezeigt. Das finde ich bedauerlich. Aber ich werde ja selbst da sein, insofern kann ich die Diskussion nach dem Film auffangen. Beim „Verzaubert“-Festival habe ich jetzt lange darum gekämpft, dass der Film im Anschluss gezeigt wird. Ich hoffe, die machen das dann auch.
In „Männer Helden Schwule Nazis“ haben Sie einen Ausschnitt aus „Skin Flick“ verwendet, einem mit Nazi-Symbolen überladenen Schwulenporno Ihres kanadischen Filmer-Kollegen Bruce LaBruce. Wie finden Sie seine Arbeiten?
Es ist sicher zu schätzen, dass er in seinen Formen und Provokationen sehr radikal ist. Das ist erfrischend. Es gibt ja kaum noch Schwulenfilmer, die politische Filme machen. Und die schwulen Filmfestivals versuchen ihr Publikum mit so softerotischen Filmen zu ködern, ein Film ist harmloser als der andere. Was sicher auch mit dem konservativen Publikum zu tun hat. Deswegen begrüße ich natürlich jeden wie Bruce LaBruce, der eine radikalere Haltung hat.
Nach der Beschäftigung mit rechten Schwulen und zuletzt Ihrem Film über Kannibalismus fragt man sich, was für Rosa von Praunheim noch kommen kann.
Ich habe eine Reihe von Plänen sehr unterschiedlicher Art, da gibt’s noch tausend Fragen. Wenn man mal nach Amerika guckt, kommt da ja jede Woche ein bedeutendes Buch zu schwullesbischen Themen heraus. Gay und Gender Studies sind da sehr wichtige Themen an Universitäten. In Deutschland ist das nicht so, die deutschen schwulen Intellektuellen arbeiten viel weniger. Insofern haben wir hier überhaupt kein Gefühl für die Möglichkeiten, wie Gesellschaft, Sexualität und Geschlechterstrukturen sich ändern können. Das finde ich schade.