: Plausibles politisches Angebot
betr.: „Neoliberale Tauschgeschäfte“, taz vom 12. 11. 05
Dass Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und leider auch die taz über den Koalitionsvertrag von CDU und SPD herfallen würden, war zu erwarten. Mit dieser Art von Pawlow’schem Reflex muss in Deutschland jeder rechnen, der versucht Probleme, nicht nur zu bejammern, sondern sie auch zu lösen. Und die große Koalition packt in der Tat einige der großen Herausforderungen unserer Landes an: die Antwort auf die demografische Entwicklung mit einer Erhöhung des Renteneintrittsalters und der De-facto-Kürzung des realen Rentenniveaus; die Senkung der Lohnnebenkosten, den notwendigen Abbau der Staatsverschuldung und die Reform des Föderalismus.
Das Ganze ist konjunkturpolitisch nicht ungeschickt aufgezogen. Mit einem kleinen Konjunkturprogramm und Anreizen für vorgezogenen Konsum und vorgezogene Investitionen bei gleichzeitiger Inkaufnahme einer weiterhin hohen Verschuldung in 2006, besteht Anlass zur Hoffnung, dass die Mehrwertsteuererhöhung 2007 in einem deutlich besseren konjunkturellen Umfeld vollzogen werden kann. Das ist übrigens das genaue Gegenteil von neoliberaler Angebotspolitik. Als Paket ist das ausgehandelte Maßnahmenbündel auf jeden Fall das plausibelste politische Angebot, was auf dem Markt ist. Die Steuersenkungsvorschläge der FDP sind demgegenüber so aberwitzig, dass sie selbst sich kaum noch traut, diese öffentlich zu wiederholen. Und auch die Grünen haben sich nicht mit Ruhm bekleckert. Während sie in ihrem Wahlprogramm noch behaupten, das Problem der Staatsverschuldung allein durch die Schließung von Steuerschlupflöchern lösen zu können, ist es nun ausgerechnet Trittin, der dies in letzter Minute zu verhindern und zu verzögern sucht. Linkspartei und Attac dürfen sich demgegenüber klammheimlich darüber freuen, dass die Staatsquote in den kommenden Jahren in Deutschland wieder steigen wird.
Natürlich werden meine fünfköpfige Familie und ich in den kommenden Jahren etwas weniger Geld zur Verfügung haben: Wegfall der Pendlerpauschale, Verringerung des Sparerfreibetrages, höhere Mehrwertsteuer, längere Lebensarbeitszeit. Dazu kommen in NRW Studiengebühren für die Kinder. Aber wenn das Haus brennt, muss man den Brand löschen, auch wenn die Feuerwehr Geld kosten sollte. Deshalb wünsche ich Merkel und Müntefering auch als aktives grünes Parteimitglied erst mal viel Erfolg. ROGER PELTZER, Kerpen