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Archiv-Artikel

Berliner Platten Artsy Berlin: The Aim Of Design Is To Define Space und Orwo6 kennen den Rock mit dem Kunstverdacht und wissen doch, dass erst aufm Platz zählt

Orwo6: „Groove Royal“ (Mad Cell/ Flight 13)

Dass die Welt in Wellen organisiert ist, lässt sich hübsch illustrieren am Wandel des Wörtchens „Kunst“ in der Geschichte der Rockmusik. Als der Rock ’n’ Roll erfunden wurde, wäre niemand auf die Idee gekommen, man könnte es da mit eben solcher überhaupt zu tun haben. Doch als die Hippies später an der Weltrevolution gescheitert waren, tobten sie ihren Frust in ellenlangen Gitarrensoli und der Zusammenarbeit mit klassischen Orchestern aus. Dank Punk wurde „Kunst“ dann wieder zum Schimpfwort in der Rockmusik. Seitdem wird der Takt in diesem Wechselspiel immer hektischer, und momentan befinden wir uns in einer Phase, in der man „artsy“ sein, aber trotzdem in die Charts geraten darf (Franz Ferdinand), oder die Kunst gar im Namen führt (Art Brut).

Auch in Berlin hat man die Zeichen der Zeit erkannt. Wer sich einen Namen wie The Aim Of Design Is To Define Space gibt, hat wohl einige Semester an der Uni verbracht. Andererseits legt das Quartett auf seinem zweiten Album „Aim Of Design Good Time“ Wert darauf, nicht unter Kunststudentenverdacht zu geraten. So gelingt es ihnen, sperrige Worte wie „Neurodermitis“ in Texte einzubauen und sie gleichzeitig mit Plattitüden wie „Was zählt, ist aufm Platz“ zu versehen. Man kann das als Konzept verstehen – oder nur als Ausdruck einer artifiziellen Proletarisierung, die sich beständig gebrochen ihrer eigenen Cleverness vergewissert, aber so tut, als würde sie das nicht mitkriegen. Bewusst ungehobelt und gleichzeitig gewollt künstlich: Da heißen Songs mal „Kippenberger“, mal „Bum Bum Stinke Stinke“, da reimt sich „Vergiss es“ auf „das isses“ und korrespondiert die Textebene mit einer sorgsam konstruierten Hardrockigkeit, die sich demonstrativ an die Eier greift und doch auch ausdrücklich arg durchdacht daher kommt.

Auch Orwo6 verfahren auf ihrem Debütalbum „Groove Royal“ nach dem Prinzip: Je vertrackter ein Stück, desto anspruchsvoller muss er wohl sein. Allerdings: Ihr meist instrumentaler Rock baut zwar einerseits auf solides Gitarrenhandwerk und den wohl gesetzten Harmoniewechsel, setzt andererseits aber auf die Grundsätze des selbstvergessenen Schweinerock, also einen bratzig breiten E-Gitarren-Sound und die bereits im Albumtitel gewürdigte, gemütlich mittelschnelle, aber doch angemessen mitreißende Rhythmik.

Der Band selbst beliebt es, die eigenen Ergüsse als Stoner Rock zu bezeichnen. Der war ja nun schon bei seiner Erfindung in den frühen Neunzigern eine recht retrospektive Veranstaltung, und so verwundert es denn nicht, dass „Groove Royal“ in seinem Verlauf immer gefühliger wird und zunehmend Rockerklischees bedient. Eine Entwicklung, die im Hidden Track, einer gerade noch knapp den Kitschverdacht umschiffenden Ballade, gipfelt.

The Aim Of Design Is To Define Space: „Aim Of Design Good Time“ (Hobby Deluxe/Indigo), live am 24. 11. im Magnet

Ob Aim Of Design, Orwo6 oder selbst Franz Ferdinand, die im Video zur aktuellen Single die ungebildeten Vernissagenaufmischer geben: Der Art Rock unserer Tage will offensichtlich nur mit halbem Herzen den Kunstanspruch einlösen, denn das Proletenleben ist dann doch lustiger. THOMAS WINKLER