Der Mensch als bessere Maschine

KLANGKUNST Zur Eröffnung des „E-Studios“ der Akademie der Künste gibt es Bassdrumgewitter und Blixa Bargeld

Fast wie in alten Neubauten-Tagen, heute aber mit dreiteiligem Anzug

VON TIM CASPAR BOEHME

Man hatte bei der Ankündigung nicht gekleckert: Ein „Grand Opening“ war versprochen worden, um das neu eröffnete „E-Studio“ in der Akademie der Künste am Hanseatenweg zu feiern. Und tatsächlich gab es vergangenen Freitag an der Abendkasse des Hauses einen so großen Andrang, dass man mit fast einer halben Stunde Verspätung beginnen musste.

Ob der Anlass allein für ein überfülltes Haus gesorgt hätte, ist ungewiss. Beim „Studio für elektroakustische Musik“ handelt es sich um eine traditionsreiche, außerhalb von Neue-Musik-Kreisen jedoch wenig bekannte Institution, die zu DDR-Zeiten an der Ostberliner Akademie entstanden war und seit den Neunzigern ihren Sitz in Charlottenburg hatte. Der Großteil des Publikums dürfte denn auch durch einen strategisch geschickten Zug ins Haus gelockt worden sein: Zuoberst auf dem Programm prangte der Name des Einstürzende-Neubauten-Sängers Blixa Bargeld.

Dass die Geschichte des Studios in der Begrüßung durch den Musikproduzenten Lutz Fahrenkrog-Petersen nur flüchtig erwähnt wurde, war insofern schade, als es die elektronische Musik in der DDR sehr schwer gehabt hatte. Die nüchternen Gerätschaften mit ihren sonderbaren Lauten standen im Ruf, bürgerlich-formalistischen Tendenzen, die dem Sozialistischen Realismus zuwider liefen, Vorschub zu leisten. Zwar hatte in den frühen Sechzigern, noch vor den US-amerikanischen Pionieren Bob Moog und Don Buchla, ein Team um den Tontechniker Gerhard Steinke einen hochleistungsfähigen Synthesizer, das Subharchord, zusammengeschraubt, dessen Entwicklung wurde aber vor der Serienfertigung aus politischen Gründen eingestellt.

Dass der Komponist Georg Katzer im Jahr 1980 das Studio für elektroakustische Musik gründen konnte, war daher alles andere als selbstverständlich. Während der Siebziger hatte in der DDR ein Umdenkprozess zugunsten der elektroakustischen Musik eingesetzt. Mit dem Begriff „elektroakustisch“ ging zugleich ein Wandel gegenüber der heroischen „rein“ elektronischen Musik der Anfangsjahre einher. Akustische Instrumente traten seitdem verstärkt in Dialog mit den Maschinen.

So auch in Georg Katzers „Dialog Imaginär 2“ für Klavier und elektronisches „Zuspiel“ von 1987, der ältesten Komposition des Abends und einer der ersten Arbeiten aus dem Studio. Die Klänge des Klaviers werden zum Teil gespiegelt, bearbeitet und heben irgendwann in ihre eigenen Obertonregionen ab. Sie ergänzen den Klavierpart, ohne ihn zu dominieren. Anders in Hans-Joachim Hespos’ vor zwei Jahren entstandenem „Tanek“, bei dem die Töne eines Cellos im Rechner in Echtzeit verarbeitet werden: Der Solist Walter Prati hatte zunächst einmal mit grundlegenden Technikfragen zu kämpfen – man hatte vergessen, seinen Rechner ans Stromnetz anzuschließen –, und wurde dann zusehends von den Computerfeedbacks verdeckt, sodass sein Instrument kaum noch zu hören war.

Ganz zu Beginn hatte der Schlagzeuger Michael Wertmüller den Kampf gegen den Laptop klar für sich entschieden, mit unmenschlich druckvollem Spiel, das an Energie und Lautstärke die Elektronik über weite Strecken zur Hintergrundspur degradierte. Wertmüller bestritt mit Blixa Bargeld und dem Gitarristen Caspar Brötzmann im Trio auch die zweite Hälfte des Abends. Gemeinsam hatten sie das Material einige Tage im Studio erarbeitet.

Genau genommen war es kein Trio, das da spielte, sondern ein Quartett: Denn die Regie am Mischpult hatte der Tontechniker und Produzent Gareth Jones, der in den Achtzigern durch seine Arbeit mit Bands wie Depeche Mode und den Einstürzenden Neubauten bekannt wurde. Jones tat sich seit seiner ersten Produktion, John Foxx’ Solodebüt „Metamatic“, einem Klassiker des Elektropop, mit experimenteller Studioarbeit hervor, war Pionier beim Einsatz von Samplern und gilt als ausgezeichneter Experte für Audio-Software. Mit diesem Konzert gab er seinen Einstand als Producer in Residence des „E-Studios“.

Neben Wertmüllers Schlagzeug-Auftakt setzten die kollektiven Improvisationen die stärksten Kräfte frei. Wertmüller und Brötzmann türmten an ihren Instrumenten monumentale Klangwälle auf, Wertmüller mit polyrhythmischen Vertracktheiten und Bassdrum-Attacken, die manchen Black-Metal-Trommler vor Neid erblassen lassen dürften, während Brötzmann sensibel kontrollierte Rückkopplungen übereinanderschichtete. Bargeld operierte derweil mit dem vertrauten Arsenal an Stimmgeräuschen zwischen Nölen, Kreischen und Schreien, aus dem sich gelegentlich Wortfetzen wie „Kill history!“ herausschälten. Fast wie in guten alten Neubauten-Tagen. Bloß hätte er früher dazu keine großzügig geschnittenen dreiteiligen Anzüge getragen.