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Archiv-Artikel

Das Nichts oder die Ewigkeit

Auch ohne Kirche – niemand muss nach dem Tod eines Menschen auf Trost und Hoffnung verzichten. Ingrid Pfeiffer hilft als Trauerrednerin den Angehörigen in ihrem Ausnahmezustand nach dem Verlust. Es gibt nur wenige, die an gar nichts glauben

Bremen taz ■ Als Ingrid Pfeiffer umgezogen ist, hat sie zuvor das alte Haus fotografiert. Jeden einzelnen Raum. Es war ein Abschiedsritual. Ihr hat das beim Loslassen geholfen, denn eines ist für die 55-Jährige klar: „Menschen brauchen Rituale.“ Die Frau weiß, wovon sie spricht. Sie hilft anderen Menschen beim Abschiednehmen, und dabei geht es um Dramatischeres als das Verlassen seines Heims. Pfeiffer ist Trauerrednerin.

Noch 1991 hat sie ein Kindertagesheim geleitet. Dann lernte sie einen Pastor kennen, verliebte sich – und wollte neu beginnen. „Uns war schnell klar, wo meine Stärken liegen“, sagt sie. „Im Zuhören.“ Denn neben Empathie und Formulierkunst ist Zuhören das Wichtigste in ihrem Beruf. Nun kümmert sie sich also um „Menschen in Ausnahmesituationen“, wie sie es nennt. Ihr Mann tut in der Kirchengemeinde Tenever das Gleiche. Nur: Er kann als Geistlicher das Paradies verheißen, sie nicht. Denkt man.

In der Tat ist sie für diejenigen da, die nicht Kirchenmitglied waren und deshalb auf den Pfarrer am Grab verzichten müssen. Wie will Ingrid Pfeiffer den Hinterbliebenen Trost schenken – ohne Heilsversprechen?

Darauf müssen sie gar nicht verzichten, sagt sie und lächelt. Sie habe einmal ihre Reden durchforstet verblüfft festgestellt: Über 90 Prozent glaubten, dass es im Jenseits etwas gibt.

So bietet sie den Trauernden bewusst ein Bild an, das dem kirchlichen ähnelt. „Ich kann jederzeit zum Horizont schauen, aber ihn nie erreichen“, erklärt sie. „Doch das Ich als Energie kann nach dem Tod über den Horizont hinausgehen.“ Und dort, auf der anderen Seite, so sagt sie, sei alles möglich. „Da mag es das Nichts geben oder die Ewigkeit.“ Sie lasse den Menschen diese Freiheit, nur so sei es ein Trost.

Für Almut Grotheer ist Trost dagegen ein zu schwaches Wort. „Für mich war sie die Rettung“, sagt sie – und meint Ingrid Pfeiffer. Grotheer hat vor fünf Jahren ihren Mann verloren, unerwartet. „Eine Katastrophe.“ Für die 52-Jährige war allein der Umgang mit der Trauerrednerin eine große Hilfe. Alle anderen seien so gedämpft gewesen, so leise. „Frau Pfeiffer war richtig klar, das tat unendlich gut.“ Zwei Stunden dauerte das Gespräch damals. „Wie viel ich aus dem Leben erzählen soll, ist eine wichtige Frage“, meint Pfeiffer. Denn, „Erinnerung auszuhalten, das war das Schwerste für mich“, sagt Almut Grotheer.

Aushalten, das ist auch der wunde Punkt bei Ingrid Pfeiffer. Es gebe Redner, die ließen nichts an sich heran. „Ich dagegen kann nur gut arbeiten, wenn ich eine Form von Mitbetroffenheit habe.“ Doch diese Nähe geht an die Substanz. Der Austausch mit KollegInnen ist ihr wichtig, deshalb hat sie vor zehn Jahren die „Bundesarbeitsgemeinschaft Trauerfeier“ mit angestoßen. Der Zulauf war enorm.

Dennoch braucht Ingrid Pfeiffer Kraftquellen, die sie anzapfen kann. Brot backen, etwa. „Erstaunlich, was alles an Gefühlen in so einem Teig verschwinden kann“, sagt sie. Doch selbst in der Freizeit lässt der Tod sie nicht los. Dann schreibt sie Kriminalromane. Der erste, „Stechen und Ringeln“, ist bereits erschienen. Thema: Leben und Sterben im Teufelsmoor des 18. Jahrhunderts.

Achim Graf